piwik no script img

Die fette Weide Spendenmarkt

Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen in Berlin überprüft Spendenorganisationen auf ihre Seriosität und will „Spendensiegel“ vergeben/ Drückerkolonnen machen den Osten unsicher  ■ Aus Berlin Ute Scheub

„Bitte helfen Sie mir, ich bin so verzweifelt“, schrieb Marika H.* aus der ehemaligen DDR an das „Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen“ (DZI) in Berlin. Die mittellose und in Scheidung lebende Mutter dreier Kinder hatte „in einer depressiven Phase“ zwei „Drücker“ hereingelassen, die für die „Organisation für notleidende Kinder e.V.“ warben. „Sonst wußte ich die Klingelputzer wegzuschicken“, berichtete die Frau, „aber diese beiden traten so seriös auf und wollten mir in meiner Situation helfen. Es war ein Strohhalm, an den ich mich klammerte. Der Monatsbeitrag von 10DM erschien mir günstig. Und dieses Geld würde für notleidende Kinder zugute kommen. Man liest so viel Schlimmes von mißhandelten Kindern, daß ich mit Freuden bereit war. Da ich Schulden auf meinem Konto hatte, versprachen sie mir, mit dem Abbuchen des Monatsbeitrages bis Januar zu warten. Nun buchten sie es schon am soundsovielten von meinem Konto ab und brachten mich in noch tiefere Schulden...“

Die 20 festen MitarbeiterInnen des DZI erhalten solche Briefe zuhauf. Bereits 1893 als Auskunftsstelle für Hilfsbedürftige gegründet und heutzutage eine Stiftung, die u.a. vom Berliner Senat und dem Bundesfamilienministerium finanziert wird, hat sich das Institut auf bundesweite Spenderberatung spezialisiert. Menschen, die einer bestimmten Hilfsorganisation Geld geben wollen, sich ihrer Seriosität aber nicht sicher sind, können bei diesem „Spender-TÜV“ Kurzgutachten über den jeweiligen Verein anfordern. Der neueste Clou: Empfehlenswerte Organisationen, die insgesamt elf Kriterien erfüllen — unter anderem klares Rechnungswesen, keine nur auf Emotionen abzielende Werbung, geringer bis vertretbarer Verwaltungsaufwand bis zu maximal 25 Prozent der Gesamtausgaben—, sollen ein „Spendensiegel“ verliehen bekommen. Rund 220 Vereinigungen haben sich bereits darum beworben. Da die Prüfung noch eine Weile dauern wird, ist nach Einschätzung des DZI- Geschäftsführers Lutz Erich Worch im Frühherbst mit der Liste der damit ausgezeichneten Organisationen zu rechnen.

Doch die in Gießen ansässige „Organisation für notleidende Kinder e.V.“, die Marika H. in Verzweiflung stürzte, wird dabei wohl keine großen Chancen haben. Der Verein gehört neben der Bochumer „Hilfe für behinderte Menschen e.V.“, der Langenhagener „SAVE e.V.“, der Marler „Vereinigung der Förderer des Deutschen Hilfsdienstes e.V.“ und der Münchner „Kinder in Not e.V.“ zu den fünf meistkritisierten Spendenorganisationen. Alle fünf Vereinigungen sind seit der deutschen Vereinigung dadurch aufgefallen, daß sie Drückerkolonnen durch die Ex-DDR schickten und die Unwissenheit der neuen Bundesbürger mit Rechts- und Abbuchungsfragen geschickt auszunützen verstanden. Aber auch die Mittelnutzung, zum Beispiel bei der „Vereinigung der Förderer des Deutschen Hilfsdienstes“, geriet in die Kritik: „Das DZI kann nur schwerlich eine Verbindung zwischen den geleisteten Mitgliedsbeiträgen und den vermeintlichen Hilfsaktionen entdecken“, heißt es in einer Kurzeinschätzung. Dem Institutschef Worch wäre es lieber, sich solche Kritik ersparen zu können: Aus enttäuschtem Engagement erwachse schnell „eine Kontrahaltung“ der Bürger, die im Gegensatz zur Notwendigkeit des Spendens stehe. Die wegen mangelnder Absatzsicherheit viel kritisierte Rußlandhilfe hält er ebenfalls für „wichtig“, auch wenn sie „mit langfristigen Absprachen verbessert werden muß“. Presseartikel, Botschafts- und Reiseberichte werden im Institut auch daraufhin ausgewertet, ob die Pakete auch wirklich ihre Empfänger erreichen. Besser aber wäre es für die Katastrophenhilfe, findet Lutz Worch, „wenn die großen Hilfsorganisationen eine Koordinationsstelle mit beratenden Wissenschaftlern und Schubladenplänen errichten. Früher entwickelte man auf diese Weise Kriegsstrategien, im Zeichen der Abrüstung könnte man endlich humanitäre Strategien entwerfen.“

Die Großen: das sind in erster Linie die Caritas, die Diakonie, Misereor, Brot für die Welt und andere. Von den mehr als 220.000 humanitären Organisationen in der Bundesrepublik vereinigen 252 Spitzenvereinigungen rund 85 Prozent des Spendenmarkts — schätzungsweise vier Milliarden Mark pro Jahr — auf sich. Die Größe allein sagt noch nichts aus über das Geschäftsgebaren, aber die multinational Organisierten, sagt Worch, „die machen uns Sorgen, weil wir die Geldströme nicht an ihr Ende zurückverfolgen können“. Im Zeichen der Europa-Union, die ab 1993 freies Sammeln auf europäischer Ebene ermöglicht, brennt dieses Problem besonders.

Unter diesen „Multis“ werben nicht wenige mit dem zweifelhaften Angebot, ein „Patenkind“ in der Dritten Welt zu adoptieren. Entwicklungspolitische Experten halten eine solche Einzelfallhilfe — wenn die Zahlungen angeblich oder tatsächlich an ein einzelnes Kind und nicht an ein laufendes Projekt gehen — für geradezu kontraproduktiv. Unangenehm aufgefallen ist in diesem Zusammenhang aber auch die von evangelikalen Erzkonservativen gegründete „World Vision International“ in Kalifornien bzw. Oberursel, weil sie nach DZI-Einschätzung bis zu 77 Prozent der Gelder für die eigene Verwaltung verbraucht.

Ähnlich oder noch schlimmer trieb es das bundesdeutsche Ehepaar Wolfgang und Beatrix B. Die beiden ließen laut Worch vor allem bei gutwilligen Ärzten, in Anwaltskanzleien und Handwerksbetrieben Billigwaren vertreiben, von denen sie behaupteten, sie seien in Behindertenwerkstätten erstellt worden. Von den satten Erlösen leisteten sie sich Luxusautos und -reisen, Grundstücke, Schmuck und Pelze. Vor zwei Jahren wurden sie zusammen mit einem Kumpanen in Lübeck wegen fortgesetzter Untreue, Betruges und Steuerhinterziehung zu mehrjährigen Haftstrafen verknackt.

Wer Kurzgutachten von bis zu drei Organisationen haben möchte, wende sich schriftlich und mit adressiertem Rückumschlag an das Deutsche Institut für soziale Fragen, Miquelstraße 84, 1000 Berlin 33. Bitte keine Anrufe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen