: Die lustvolle Abrechnung mit der Lurchfraktion
Grüne entdecken die Liebe zur Großstadt: StadtpolitikerInnen gründeten „Grünes Stadtforum“/ Neuer Konsens: Die „Kommunalos“ finden Großstädte prima/ Aktive Großstadtgestaltung ist angesagt/ 15 Jahre Verspätung beim Thema Neue Urbanität ■ Aus Köln Florian Marten
Grüne Großstadtpolitik soll künftig zu einem unübersehbaren Markenzeichen grüner Politik und Erneuerung werden. Das traditionelle Nichtverhältnis zur Großstadt („Igittigitt, Metropolen sind ökologische Horrormonster“) soll sich in eine enge politische Beziehungskiste verwandeln — Yuppieprinzessin küßt grünen Frosch. Das am Wochenende in Köln von grünen KommunalpolitikerInnen aus München, Hamburg, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Dresden, Leipzig, Hannover, Dortmund, Bochum und Aachen gegründete „Grüne Städteforum“ will zur Plattform jener neuen, offensiven Metropolenpolitik werden. Ein handverlesener Kreis von rund 30 (Groß-)Stadtgrünen, im Parteislang „Kommunalos“, hatte sich auf Einladung von Münchens erfolgreicher Realissima Sabine Csampai, des Kölner Stadtrats Jörg Frank und des Hamburger Stadtpolitikers Peter Schwanewilms am Samstag im Kölner Rathaus eingefunden, um die überfällige Verknüpfung der erfolgreichsten grünen Politikebene in die Wege zu leiten. Über weite Strecken war die intensive Diskussion eine lustvolle Abrechnung mit Tabus, Denkblockaden und dem Alltagsfrust, dem grüne StadtmacherInnen ausgesetzt sind. Die Münchner Bürgermeisterin Sabine Csampai rechnete knallhart ab mit ihrer Basis, jenen rund 300 Aktiven der insgesamt 600 Münchner Grünen: „Grüne verdrängen gern städtische Belange. Wenn wir Wohnungen bauen wollen, kommt unsere Basis und ruft: ,Igitt! Da steht doch schon ein Hollerstrauch [Holunderbusch. d.Red.].‘ Wenn wir über die überfällige Verlagerung der Messe reden, dann heißt es ,Pfui, da kommen ja Menschen, die wollen in Hotels wohnen.‘ Das ist ein bißchen schwierig, wenn man Stadtpolitik machen will.“ Die Basis kümmere sich um Detailfragen, schreie hier nein und dort nein, ohne die Gesamtstadt im Auge zu haben, werde oft genug von der „Lurchfraktion“ bestimmt, die „ihre Gräser zählt“. Auch die Wähler, insbesondere das saturierte Vorortbürgertum, bekamen ihr Fett ab: Sie reagieren „im Umweltbereich oft hysterisch“. „Die möchten abends die Bordsteine hochklappen, verlangen, daß alle anderen vor ihrer Tür höchstens Tempo 30 fahren, halten sich natürlich selbst nicht daran und schwärmen dann von der Neuen Urbanität.“
Csampai traf den Nerv der meisten Anwesenden: Großstädte funktionieren gemeinhin recht gut. Sie sind Brutstätten grüner Wahlerfolge und Lebensraum des allergrößten Teils der deutschen Bevölkerung. Wohnungsbau auch auf grünen Wiesen mitten in der Stadt — warum nicht? Warum jedem Grashalm nachweinen? Großstädtische Entscheidungen mittragen, auch wenn es der BI vor Ort wehtut, sich von der „spießigen Kleinbürgerlichkeit“ verabschieden, auch mal ja zu Großprojekten sagen, wenn sie vernünftig gemacht werden! Am weitesten im Aufräumen mit grünen Großstadtbaus ging der Frankfurter Stadtrat Lutz Sikoski, der rückblickend vom CDU-OB Walter Wallmann schwärmte, der als erster Frankfurter Kommunalpolitiker begriffen habe, warum sich Städte heute als strahlende „World-Citys“ im internationalen Wettbewerb positionieren müssen, mit allem Drum und Dran, von der Oper bis zum Hochhaus. Wallmanns einziger, freilich politisch tödlicher Fehler sei es gewesen, die Stadtteile nicht zu pflegen, sie im Urbanisierungsrausch plattzumachen. Hier sei grüne Kompetenz und Kompromißfähigkeit gefragt, die sich allerdings nicht den bornierten Einzelinteressen der BI vor Ort beugen dürfe: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne.“ Csampai ergänzte: „Wir müssen Entscheidungen treffen. Und das bedeutet auch, einmal brutal sein.“ Auch wenn diese Lust zur Brutalität und metropolitaner Urbanität nicht von allen geteilt wurde — es war schon auffällig, wie heftig das urbane Coming- out, der Urschrei nach Macht, Machen und Metropole ausfiel. Der Kölner Stadtdenker Peter Hanemann, als Grünkritiker geladen, fand das weniger witzig: Mit rund 15 Jahren Verspätung, so spöttelte er, hätten die Grünen jetzt das Thema Neue Urbanität entdeckt. Sie müßten sich beeilen, wenn sie den Zug, auf dem sich andere schon längst befinden, noch erreichen wollten.
Auffällig neben der überaus positiven Grundeinstellung zum aktuellen Zustand der Großstädte war die Abneigung gegen große Würfe, neue Stadtvisionen. In ganz Europa sind Wissenschaftler, Architekten, Stadt- und Verkehrsplaner dabei, überaus konkrete Utopien von der wieder funktionsfähigen Stadt der Zukunft zu entwickeln. Die grünen „Kommunalos“ dagegen, so schien es, müssen dagegen den Weg vom „Nein danke“ über das „Ja bitte“ zur Entwicklung wirklichkeitsbildender Visionen erst noch zurücklegen. Bei der Diskussion um die Themenschwerpunkte der ersten „richtigen“ Tagungen in München und Frankfurt stand denn auch der kommunalpolitische Alltag im Vordergrund: Wie halten es die Grünen mit Großprojekten, Stadtfinanzen, Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, Flüchtlingszustrom, Stadtverkehr, World-Citys, Städtekonkurrenz...? lauteten die Vorschläge. Das „Grüne Städteforum“ wird Ende April in München zum Themenschwerpunkt „Flüchtlinge“ und im Herbst in Frankfurt zum Thema „Stadt, Ökologie, Großprojekte“ tagen.
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