: Wen trifft der Brief-Krepierer?
CDU weist Vorwürfe gegen Schäuble zurück/ SPD will ihn laden ■ Aus Bonn Thomas Scheuer
„Parlamentarier anzuschwindeln scheint in Bonn allmählich zum Gewohnheitsrecht zu werden.“ Mit dieser etwas deftigen Bemerkung kommentierte eine Medienkollegin am Montag die Presseenthüllungen vom Wochenende über eine mögliche Falschaussage des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble. Aber schließlich ist es erst wenige Wochen her, daß Lutz Stavenhagen am Ende einer kuriosen Affäre um falsche Pässe für den ehemaligen DDR-Devisenagenten Alexander Schalck-Golodkowski seinen Stuhl als Koordinator der Geheimdienste im Kanzleramt räumen mußte. Schäuble wiederum hatte in seiner Anhörung durch den Schalck- Untersuchungsausschuß des Bundestages im vergangenen November den Inhalt dreier Briefe, die ihm Schalck geschrieben hatte, als rein privat bezeichnet. Offenbar enthielten die Schalck-Schreiben jedoch Informationen über SED-Auslandsfirmen, so daß sich Schäuble seit dem Wochenende dem Vorwurf ausgesetzt sieht, den Schalck-Ausschuß belogen zu haben.
Als „unberechtigt“ wies die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Vorwürfe gegen ihren Chef zurück. Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Rüttgers beschuldigte im Gegenzug den SPD-Obmann im Schalck-Untersuchungsausschuß, Andreas von Bülow, „eine Schmutzkampagne zu starten, die wie frühere Versuche als Rohrkrepierer enden wird“. Laut Rüttgers könne überhaupt kein Schaden dadurch entstanden sein, daß Schäuble im Sommer 1990 als damaliger Bundesinnenminister die von Schalck übermittelten Informationen über das SED-Auslandsvermögen nicht an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet habe. Schließlich hätten dieselben Informationen ja auch dem Bundesnachrichtendienst (BND) vorgelegen (Schalck hatte dem BND einen handschriftlichen Entwurf des Briefes überlassen). Am eigentlichen Vorwurf, Schäuble habe den Parlamentsausschuß belogen, ging Rüttgers Stellungnahme jedoch vorbei. Fraktionssprecher Günter Englisch beteuerte, sein Chef habe vor dem Schalck-Ausschuß „nach bestem Wissen und Gewissen alles ausgesagt, was zu sagen war“.
Die Oppositionsabgeordneten im Schalck-Ausschuß melden Zweifel an. SPD-Obmann Andreas von Bülow kündigte an, seine Partei wolle schon in der nächsten Beratungssitzung des Ausschusses in der kommenden Woche förmlich beantragen, Wolfgang Schäuble erneut zum Thema Schalck-Briefe vorzuladen. Das Bündnis 90/Grüne will mitziehen und sähe am liebsten gleich das ganze Trio Schäuble — Schalck — Neukamm im Zeugenstand (Bischof Neukamm hatte als Briefträger zwischen Schalck und Schäuble fungiert).
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