„Wie in einem faschistischen Land“

Rechtsradikale Gewalttaten auf AusländerInnen in Schweden reißen nicht ab/ Demonstrationen — doch die Regierung schweigt  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

„Mein Freund fiel mir getroffen in die Arme, ich war ganz voll Blut. Ich dachte, jetzt müssen wir alle sterben.“ Die kubanische Sängerin Maria Llerena war Zeugin und fast Opfer eines Mordversuchs. Nicht irgendwo in Südamerika, sondern in der schwedischen Hauptstadt Stockholm, mitten in der Stadt, auf offener Straße. Einer der letzten Anschläge auf AusländerInnen in Schweden in diesen Tagen. Ihr Begleiter, ein Diskjockey aus Simbabwe, hatte nicht so viel Glück wie Maria. Er wurde von einem maskierten Mann mit Revolver schwer verletzt. Maria Llerena, seit den sechziger Jahren in Schweden lebend: „Ich glaubte, er würde sterben. Er wurde in die Brust getroffen. Doch irgendwie hatte er trotz allem noch Glück.“

„Glück“ hatte auch ein palästinensischer Kioskbesitzer, der am Donnerstag „nur“ schwer verletzt wurde, als offensichtlich der gleiche Täter — es wurde dieselbe Waffe benutzt — ihn in einem Vorort von Stockholm zusammenschoß. „Glück“ hatte ein Flüchtling aus dem Iran, der einen Tag vorher von drei Männern in Göteborg in seinem kleinen Lada zusammengeschlagen und gefesselt wurde, während die Täter Feuer legten. Er konnte gerade noch lebend gerettet werden. „Glück“ hatten drei Flüchtlinge aus Somalia und ein chilenischer Flüchtling, die am selben Tag wie Marias Freund in einem AusländerInnentreff in Stockholm und in Uppsala angeschossen wurden. Fünf Personen hatten dieses „Glück“ nicht: sie sind seit Oktober letzten Jahres bei Mordanschlägen in Schweden ums Leben gekommen.

Die Polizei hat außer dem Wissen, daß bei verschiedenen Anschlägen offensichtlich dieselbe Waffe — eine Pistole mit Neun-Millimeter-Kaliber — benutzt wurde, noch keine konkrete Spur zu bieten. Ein Auto wurde bei mehreren der letzten Anschläge gesichtet, das angeblich schon beim kürzlichen Prozeß gegen den Führer der rechtsradikalen Organisation „Weißer arischer Widerstand“, Klas Lund, aufgefallen war. Sympathisanten, die den Prozeß besuchten, hatten ihn gefahren.

Steckt eine Organisation hinter all den Mordanschlägen? Die Polizei sagt noch nicht Ja. Aber sie sagt auch nicht mehr Nein zu dieser Theorie. Wirre Bekennerschreiben liegen vor, in denen sich einmal eine „Sturmabteilung“ des „Weißen arischen Widerstands“, ein andermal eine „Sturmtruppe“ einer Nationalsozialistischen Partei“ der Taten brüsten: Alle Ausländer raus aus Schweden. Dies sei das Ziel der Anschläge. Man sei sich jedenfalls zwischenzeitlich — tatsächlich — sicher, daß alle Attentate ausländerfeindlichen Hintergrund haben und suche, so der Stockholmer Polizeichef Lennart Thorin, den oder die Täter im rechtsradikalen Milieu: Die Gewaltbereitschaft von rechtsaußen sei beängstigend angestiegen, so Thorin, die Rechtsradikalen hätten gemerkt, wie sie durch solche Anschläge Angst und Schrecken im ganzen Land verbreiten können.

Angst herrscht wirklich unter den in Schweden lebenden AusländerInnen. Der Polizei wird — obwohl sie ihre Streifen vermehrt hat — nicht zugetraut, wirksam gegen den „Pistolenmann“ und die möglichen anderen Täter vorgehen zu können. Sie gelobt nach jedem neuen Anschlag, man hoffe, jetzt weitere Taten verhindern zu können. Viel mehr als Hoffnung scheint nicht dahinter zu stecken. Viele der AusländerInnen- Organisationen halten nun die Zeit für gekommen, den Schutz ihrer Landsleute in die eigene Hand zu nehmen. Im Stockholmer Vorort Rinkeby, der einen hohen AusländerInnenanteil hat, patroullieren bereits in Selbsthilfe zusammengestellte freiwillige Streifen. Furcht und Hilflosigkeit scheinen nicht nur die Verteidigungs-, sondern auch die Gewaltbereitschaft auch auf dieser Seite zu steigern.

Fast jeden Tag haben in dieser Woche spontane kleinere Demonstrationen gegen die Gewalt von rechtsaußen stattgefunden. Einige Kirchen haben spezielle Gottesdienste gegen den Rassismus veranstaltet. Am Sonntag sollen die Predigten das Thema Ausländerfeindlichkeit und Rassismus zum Gegenstand haben, so die Empfehlung des Bischofs von Stockholm.

Wer schweigt, ist die Regierung. Ministerpräsident Bildt wird wegen des Fehlens eines klaren Wortes seitens seiner Regierung mittlerweile nicht nur von der sozialdemokratischen Opposition, sondern auch in der Presse immer heftiger kritisiert. Als zu Beginn des Jahres Bombenanschläge und Bombendrohungen gegen Bahnhöfe und Flugplätze auch schwedische MitbürgerInnen gefährdeten, habe die Regierung sofort mit deutlichen Stellungnahmen und massivem Polizeieinsatz reagiert. Warum, so die Frage, nicht jetzt an„gesichts der Welle von Mordanschlägen gegen AusländerInnen?

Maria Llerena war, als ihr Freund angeschossen wurde, auf dem Weg zu einer Probe. Ein Musikstück, das demnächst Premiere hat. Es heißt Kikiribon und handelt vom Kampf gegen den Rassismus. Maria Llerena: „Es ist schlimm. Aber an diesem Tag hatte ich mir nach dem ersten Schock nur eines gewünscht: weiß zu sein und nicht mehr als Ausländerin erkannt werden zu können. Es ist in Schweden schon wie in einem faschistischen Land.“