: Das fernöstliche Dauerlächeln
Christine Gräns Hongkong-Krimi: Eine würdige Fortsetzung ihrer Romane in Bonn, um Bonn und um Bonn herum ■ Von Klaus Bittermann
In Hongkong 1997 spielt der neue Roman von Christine Grän, die vor allem Krimi-LeserInnen nicht ganz unbekannt ist. Schon vier Thriller hat sie mit der sympathischen Bonner Klatschkolumnistin Anna Marx bestritten — und dabei für deutsche Krimiverhältnisse ungewöhnliches Erzähltalent bewiesen.
Einen Roman in der unmittelbar vor uns liegenden Zukunft spielen zu lassen, ist allerdings nicht ganz ungefährlich. Vor allem, wenn der Verlag den Roman als „Utopie“ anpreist und großspurig verkündet: „Ob Chrstine Grän recht behält, wird sich am 1.Juli 1997 erweisen“ — dem Stichtag, an dem die Zeit der Engländer in Hongkong ablaufen wird. In den gegenwärtigen unsicheren Zeiten, wo Regimes in atemberaubendem Tempo zusammenbrechen und Staaten neu entstehen, kann sich die Fiktion schnell als Makulatur erweisen. Im Gegensatz zu dem, was man aufgrund der Verlagswerbung vermuten könnte, ist Grän dem Genre jedoch treu geblieben. Hongkong 1997 ist alles andere als eine „Utopie“, ein Zukunftsroman, sondern ein exzellenter Thriller, in dem alles stimmt.
David Wiener, Auslandsreporter einer deutschen Zeitung, vertreibt sich im besten Puff Hongkongs mit Shirley Cheung die Zeit. David Wiener ist für Shirley mehr als ein gewöhnlicher Kunde. Neckereien, Banalitäten, Gedanken fliegen zwischen beiden hin und her und erzeugen eine Stimmung, die weit entfernt ist von Hektik, Lärm und allem, was man mit dem Moloch Hongkong verbindet. Aber dann stehen plötzlich zwei Männer mit roten Stirnbändern in der Schlafzimmertür. Sie halten Wiener fest, der zusehen muß, wie Shirley zerhackt wird.
Dann ist Wiener verschwunden, hat sich in Nichts aufgelöst. In Hongkong nichts Ungewöhnliches. Sechs Wochen, bevor die Stadt an China übergeben wird, wer sollte sich da den Kopf darüber zerbrechen? Jeder hat weit Wichtigers zu tun, sofern er es sich leisten kann. Zum Beispiel einen Paß kaufen, der es ihm erlaubt, das Land rechtzeitig zu verlassen, das Vermögen ins Ausland zu transferieren oder sich mit den neuen Machthabern zu arrangieren. Und schließlich gibt es da auch noch einheimische Machthaber, mit denen schon die Briten nicht fertig wurden. Auch die Chinesen werden es nicht leicht haben mit ihnen. Die Triaden, die chinesischen Geheimbünde, verfolgen bei der von keinem der Einwohner Hongkongs euphorisch herbeigesehnten „Wiedervereinigung“ ihre eigenen Ziele. Das Chaos schwappt über, und wenn ein weißer Mann reglos auf der belebten Des Voeux Road liegt, dann ist er da „zunächst nur ein Hindernis und erst in zweiter Linie ein Gegenstand der Aufmerksamkeit“.
Nina Laurenz heißt der Ersatz für Wiener, nicht unähnlich der Protagonistin Marx in Christine Gräns früheren Krimis: allein, auf sich gestellt, mit leichten Übergewichtsproblemen und guten Vorsätzen, an denen sie immer wieder scheitert. Nina Laurenz kommt mit dem Blick der unfreiwilligen Ethnologin nach Hongkong. Nicht nur die Sitten und Gebräuche der Chinesen sind ihr fremd, auch die der eigenen Kollegen — zum Beispiel der alten Hasen aus dem Metier. „Jemand hier vergewaltigt, der Englisch spricht?“ rufen sie, während sie mit gezückter Kamera über schwerverletzte Frauen und Kinder steigen.
Die Mentalität der Schützengrabenjournalisten (oder der, die es gerne wären) ist deshalb so treffend beschrieben, weil der Autorin das Milieu vertraut ist — genauso wie Hongkong selbst, wo sie ganz offensichtlich gründlich recherchiert hat. Daß sie das Hongkong von 1990 beschreibt und nicht das von 1997, tut der Geschichte keinen Abbruch. Christine Grän schreibt viel zu brillant, als daß man den Plot darüber nicht vergessen könnte. Wenn zum Beispiel der Commissioner Charles Whitehead oder der Gouverneur Rutherford mit Pekings Statthalterin in Hongkong, Li Hou, über eine geordnete Übergabe der Stadt (oder auch über den Mord an einem Richter der königlichen Majestät) konferieren, dann sind die Dialoge nie nur einfache Transportmittel der Handlung. Hinter den höflichen Schmeicheleien der Diplomatie enthüllt die Autorin das Interesse von Leuten, die zwar als Marionetten von Regierung, Kapital und Verbrechen funktionieren, aber gleichzeitig von kleinen und läppischen (jedoch immer standesgemäßen) Sorgen geplagt werden. Wie unfair, daß die Karikaturisten immer die Nase von Sir Hubert Rutherford in den Mittelpunkt der Physiognomie stellen und nicht Augen und Mund, die Autorität und Klugheit verraten würden: Sir Hubert findet das nicht richtig. Die Psychogramme von politischen Repräsentanten sind glaubwürdig — wundervolle Porträts von skurrilen und schrägen Vögeln, die nicht etwa eine Resozialisierungsanstalt bevölkern, sondern als ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft die schmutzigen Interessen ihrer Auftraggeber und Hintermänner vertreten. In ihren inneren Monologen geben sie ihre sorgsam gehüteten Geheimnisse preis.
Solche Passagen stehen einem Eric Ambler in nichts nach. Wie der Autor von Waffenschmuggel (wo die Verhandlungstaktik eines Inders gegenüber einem Chinesen faszinierend beschrieben wird), schafft Christine Grän es, in vermeintlich belanglosen Nebenschauplätzen eine ungeheure Spannung zu erzeugen. Sie beherrscht das kühle Understatement und die feine Ironie perfekt. Das fernöstliche Dauerlächeln, das im Buch immer wieder vorkommt, ist bei der Lektüre nicht ausgeschlossen.
Christine Grän: Hongkong 1997. Econ Verlag, 359Seiten, geb., DM 39,80
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