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Privatflug in die Unsicherheit

Die privatisierte Fluglinie Aerolineas Argentinas gerät mit stolzen Preisen und Pannen in Verruf  ■ Aus Buenos Aires Gaby Weber

Sonntag um Mitternacht am internationalen Flughafen in Ezeiza. Der Jumbo, Flugnummer 336 über New York nach Kanada, wartet vollgetankt auf die Starterlaubnis aus dem Tower. Plötzlich bricht Hektik aus, „Raus, raus“ kreischen die Stewardessen hysterisch. Eine Turbine hat Feuer gefangen. Über Notrutschen werden 374 Passagiere aus der Maschine der Aerolineas Argentinas geboxt. Auf der linken Seite des Jumbos waren drei der fünf Notausgänge in der Touristenklasse verschlossen geblieben; eine weitere gab während der Rettungsaktion ihren Geist auf. Fazit der Nacht: ein Knochenbruch, mehrere Prellungen und Verbrennungen.

Die wütenden Passagiere wurden ohne Erklärung erst Stunden später in ein Hotel verfrachtet. Das Abendessen und die Ferngespräche, um die beunruhigten Familienangehörigen zu verständigen, mußten sie aus eigener Tasche bezahlen, berichtete ein aufgebrachter US-Immobilienhändler. Etliche Passagiere, darunter Silvio Finkelstein, ein hoher Beamter der Internationalen Behörde für zivile Luftfahrt, haben rechtliche Schritte gegen die Fluggesellschaft angekündigt.

„Ein Fehlstart und ein brennendes Triebwerk können jedem Flugzeug passieren“, spielte der Pressesprecher von Aerolineas Argentinas (AA) den Vorfall herunter. Als Unfallursache wurde überschüssiger Treibstoff im Triebwerk ausgemacht. Doch wie er dort hingelangt ist, konnte das Unternehmen nicht erklären.

Der Unfall markiert den vorläufigen Höhepunkt in der Diskussion über die argentinische Fluglinie, die im November 1990 privatisiert worden war. Nur Privatinitiative könne die staatliche Aerolineas auf Vordermann bringen, begründete die Regierung in Buenos Aires den Verkauf an die spanische Fluggesellschaft Iberia. Die Käufer hatten versprochen, mit Millioneninvestitionen die heruntergewirtschaftete Linie effizienter, sicherer und konkurrenzfähiger zu machen. Doch seit dem Verkauf, gegen den sich damals kaum eine Stimme erhoben hatte, reißen die Klagen über schlechten Service und mangelnde Flugsicherheit nicht ab. Den Spaniern, so heißt es in Buenos Aires, sei es nicht um den Aufbau einer modernen Flotte, sondern nur um schnelle Profite gegangen.

Im Januar dieses Jahres wehrten sich die AA-Piloten mit Warnstreiks gegen die neuen Arbeitsbedingungen, die sogar internationale Vorschriften verletzen. Der Kapitän Julio Semeria hatte sich geweigert, einen Jumbo nach Neuseeland zu steuern, weil Kopilot und Techniker „bereits ihr Maximum an Arbeitsstunden überschritten hatten“. Die Firma setzte kurzerhand einen anderen Piloten ins Cockpit.

Die Piloten-Vereinigung APLA kritisierte, daß bei den angemieteten Charterflugzeugen oft die vorgeschriebenen Ruheräume für die Besatzung fehlten. Und für den Charterflug nach Havanna hat Aerolineas sogar eine Maschine der argentinischen Luftwaffe gemietet samt uniformiertem Kapitän. Die Warschauer Konvention, so die APLA, stufe solche Fahrten als Militärflüge ein, für die keine Versicherung die Haftung übernehme.

Bei der Ausschreibung hatte sich die Käuferin verpflichtet, im Laufe des Jahres 1991 mindestens 46 Millionen US-Dollar in die Modernisierung der Flotte zu investieren. Dies ist bis heute nicht geschehen. Ob die Spanier von den für die kommenden fünf Jahre zugesagten 683 Millionen Dollar eine einzige Peseta locker machen, ist mehr als zweifelhaft. Selbst der privatisierungswütige Wirtschaftsminister Domingo Cavallo droht Iberia inzwischen mit finanziellen und juristischen Sanktionen. Die spanische Fluglinie verteidigt sich gegen den Vorwurf des Vertragsbruchs mit dem Argument, daß sie inzwischen auch die zweite argentinische Luftlinie, Austral, erworben hätten. Dadurch sei die AA- Flotte praktisch erweitert worden; an die Stelle eines neuen, fest versprochenen Fliegers von Mc Douglas habe man auf die beiden geleasten Austral-Maschinen zurückgreifen müssen.

Statt frischen Wind in die Branche zu bringen, wurde durch die Privatisierung den Spaniern ein Monopol bei innerargentinischen Flügen eingeräumt. Für die Benutzer wurde seitdem das Flugerlebnis zu einem wahren Horrortrip. Von „gesteigerter Effizienz“, so das neoliberale Zauberwort, keine Spur: Das Frachtaufkommen wurde um ein Drittel verringert, und was überhaupt noch fliegt, muß in 38 Prozent aller Fälle mit Verspätungen rechnen. Die Preise sind selbst für die regierungsfreundliche Presse absurd hoch; wer von Buenos Aires nach Mendoza fliegen will, wählt statt des kurzen Direktfluges lieber den Umweg über die chilenische Hauptstadt. Eine Reise nach Rio ist billiger als in die Provinzstadt Cordoba, 700 Kilometer von der argentinischen Hauptstadt entfernt.

Auch die 15 zugesagten neuen Flugzeuge werden wohl in diesem Jahrhundert nicht unter der Flagge von Aerolineas fliegen. Wenigstens zu einer neuen DC 11 wollte die argentinische Regierung Iberia bewegen. Doch die Spanier winkten ab: Allenfalls ein paar alte, ausgemusterte Iberia-Flieger könnten noch ein paar Jahre am Rio de la Plata ihren Dienst versehen.

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