: Von Aufschwung kann hier keine Rede sein
■ Die Regionale Verkehrsgesellschaft Spreewald (RVS) steht kurz vor dem Finanzkollaps/ Die RVS ist bis jetzt das einzige öffentliche Verkehrsunternehmen, das bisher von der Treuhand den kommunalen Trägern übergeben werden konnte
Luckau. In der kargen Landschaft der Niederlausitz sind »Aufschwungsignale« erkennbar: Neue Straßendecken, blitzende Autos, bunte Einkaufsmärkte in den Kleinstädten haben das Gesicht der Tagebauregion an der südlichen Landesgrenze Brandenburgs verändert. An dem örtlichen Verkehrsbetrieb ging der Aufschwung allerdings vorbei. »Ich weiß nicht, wie ich am 15. Februar die Löhne zahlen soll«, sagt ihr Geschäftsführer, Gerd-Peter Lehmann. Die »Regionale Verkehrsgesellschaft Spreewald« (RVS) steht vor dem Finanzkollaps und ist damit in Brandenburg kein Einzelfall.
Und das, obwohl der Betrieb landesweit als Vorreiter gilt: Die RVS ist seit November vergangenen Jahres das einzige öffentliche Verkehrsunternehmen, das in den ländlichen Regionen Brandenburgs bisher von der Treuhand den kommunalen Trägern übergeben werden konnte. Mit 260 Beschäftigten und 130 Bussen sorgt der Betrieb dafür, daß in den Landkreisen Calau, Lübben und Luckau selbst die kleinsten Gemeinden — noch — ohne Auto erreichbar sind.
Doch jetzt fühlt sich Geschäftsführer Lehmann »vom Land im Stich gelassen«. »Liquiditätsprobleme in Größenordnungen« hätten sich eingestellt, seit Brandenburgs Verkehrsminister Jochen Wolf (SPD) den Städten und Kreisen im November die Verantwortung für den Nahverkehr zuwies und durch Kürzung der Betriebsbeihilfen »Zwänge zu einer wirtschaftlichen Betriebsführung« setzen will, wie Ministeriumssprecher Schwarzkopf damals erläuterte. Der RVS fehlen im Februar 760.000 Mark Personalkosten, weil derzeit überhaupt keine Zuschüsse fließen, nachdem das Land noch im vergangenen Jahr achtzig Prozent des Defizits ausglich. Schon im Dezember hatte die ÖTV in Brandenburg vor einem »Finanzkollaps« der Betriebe gewarnt, der nun vor der Tür steht.
Die Verantwortung für die Verkehrsbetriebe wird hin- und hergeschoben. »Die Betriebsleiter laufen Sturm, weil sie befürchten, das nächste Monatsgehalt nicht zahlen zu können«, sagt Heike Uhe, in der Verkehrsabteilung der Treuhandanstalt zusammen mit ihrem Kollegen Hans Joachim Rönnau zuständig für die Kommunalisierung der Nahverkehrsunternehmen in Brandenburg. Verkehrsberater Rönnau fühlt sich ans vergangenen Jahres erinnert, als mehrere Betriebe schon einmal ihre kurz bevorstehende Pleite angekündigt hatten, bis man sich in der Anstalt entschloß, Liquiditätskredite zu geben. »Das werden wir in diesem Jahr nicht wieder tun«, sagt Heike Uhe. Von den zahlreichen Hilfsersuchen, die in der vergangenen Woche an die Berliner Anstalt ergingen, habe man allerdings die zuständigen Ministerien in Brandenburg informiert, sagte Rönnau.
Der Verkehrsberater sieht das Land und die Kreise in der Pflicht, das Defizit auszugleichen, denn Aufgabe der Treuhand sei es lediglich, die Verkehrsbetriebe zu übertragen: »entsprechend den Üblichkeiten in der alten Bundesrepublik«, wie Abteilungsleiter Franz Anslinger unmißverständlich klarstellt. Und da ist der Bund für den Nahverkehr nun einmal nicht zuständig. Doch das Interesse von Städten und Landkreisen, Busse und Bahnen zu übernehmen, hält sich in Grenzen. Hans Joachim Rönnau stellt »größere Verzögerungen« fest, weil die Politiker vor Ort nicht wissen, wann wieder Landeszuschüsse einlaufen werden. Die Bilanz der Treuhandabteilung läßt sich nur mit Mühe als Erfolg interpretieren: Erst in fünf Landkreisen und zwei kreisfreien Städten (Cottbus und Brandenburg) gilt die Kommunalsierung als abgeschlossen, in den übrigen dreiunddreißig Kreisen und vier Städten fahren noch immer treuhandeigene Busse. Auch in Zukunft, geht aus den Treuhandunterlagen hervor, wird es nur bedächtig vorangehen: Erst für weitere fünf Kreise sowie Eisenhüttenstadt liegen bestätigte Vorstandsvorlagen vor, und für neun Landkreise, Frankfurt / Oder und Schwedt werden diese vorbereitet. In jedem zweiten Kreis wird noch verhandelt. Eine Fahrt in einem der alten und nur andeutungsweise beheizten Ikarus-Busse der »Regionalen Verkehrsgesellschaft« reicht aus, um das Desinteresse der Kommunalpolitiker zu erklären. Selbst Geschäftsführer Gerd-Peter Lehmann bekennt sein Verständnis für jene, die die harten Sitzbänke im Bus längst mit der weichen Polsterung eines Westautos vertauscht haben. Im letzten Jahr gingen die Fahrgastzahlen im Linienverkehr um 40, im Berufsverkehr nach zahlreichen Betriebsschließungen sogar um 60 Prozent zurück. Fast jeder zweite Bus der RVS ist älter als elf Jahre — nach dieser »Durchschnittslaufzeit« werden die Fahrzeuge in den alten Bundesländern üblicherweise stillgelegt. Der technische Rückstand der RVS hat sich im vergangenen Jahr sogar noch vergrößert: Zwölf Busse hätte man gemäß der westlichen Erneuerungsrate 1991 anschaffen müssen — bezahlen konnte man, dank Zuschüssen, nur sieben. Nur in einem Punkt wurde West-Niveau erreicht: Auch in der Niederlausitz ist inzwischen der Schüler- statt des Linien- und Berufsverkehrs das finanzielle Standbein des Betriebes. Nach einem ersten Schritt im vergangenen Jahr will Lehmann »die Taktzeiten noch einmal auseinanderziehen« und einige der jetzt noch 54 Linien ganz einstellen. Der Fahrpreis stieg im Januar von zwölf auf durchschnittlich 15 Pfennig pro Kilometer für eine Person. Daß dadurch noch weniger Leute die Busse benutzen werden, ist auch Lehmann klar, der so noch einmal fünf bis zehn Prozent der Kosten einsparen will. Bis Juni sollen weitere fünfzehn Mitarbeiter entlassen werden, »dann ist das Hemd aber zu Ende«. Schon jetzt liegt der Betrieb mit zwei Beschäftigten pro Bus unterhalb des westdeutschen Personaldurchschnitts.
Über den Gesamtzustand der Verkehrsbetriebe im Bermudadreieck zwischen Land, Kommunen und Treuhand sind weder im Potsdamer Verkehrsministerium, noch bei der Gewerkschaft ÖTV grundlegende Strukturdaten erhoben worden, etwa über Fahrgastzahlen oder den technischen Zustand. Andreas Splangenberg, Pressesprecher der ÖTV- Brandenburg, weiß auch nur, daß »viele Betriebe kurz vor der Pleite« stehen. Und im Verkehrsministerium will man zwar — »frühestens Ende Februar« — Abschlagszahlungen an die Betriebe vornehmen — aber nur, wenn es gelinge, »den Finanzminister bei den laufenden Haushaltsverhandlungen in die Pflicht zu nehmen«, wie Rüdiger Hage, stellvertretender Abteilungsleiter für Verkehrspolitik, erläutert. Ziemlich sicher werde es Investitionshilfen geben — etwa 100 Millionen Mark —, über mögliche Betriebsbeihilfen wisse man aber noch nichts. Einen Rechtsanspruch hätten die Unternehmen darauf sowieso nicht.
Falls der Schwarze Peter, wie 1991, doch noch von jemandem aufgegriffen wird und das jetzige Finanzierungsloch gestopft werden kann — den Bussen in der Niederlausitz liegen schon wieder neue Steine im Weg. Die Allianz der drei Trägerkreise, sich im Zuge der Kreis- und Gebietsreform zu vereinigen, »ist am Bröckeln«, wie der für Verkehr zuständige Dezernent der Kreisverwaltung, Siegfried Rieck, erklärt. Dann steht dem Verkehrsbetrieb die nächste Umstrukturierung ins Haus. Ulrich Scholz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen