: William Styron:
■ Ein „Brief an Rushdie“
Kurz vor dem dritten Jahrestag des Urteils gegen Salman Rushdie herrscht ein Gefühl von Frustration und Hilflosigkeit, und man kann dagegen kaum mehr unternehmen, als diesem empörend mißhandelten Mann feste und anhaltende Solidarität zu bekunden, in der verzweifelten Hoffnung, er werde irgendwie von dem Edikt befreit, das ihm solche Leiden angetan hat. Es gibt nur wenig Grund zum Optimismus — das läßt sich an der neueren Entwicklung in Ägypten ablesen, wo der Romancier Alaa Hamed von einem Sicherheitsgericht zu acht Jahre Gefängnis verurteilt wurde, weil er einen Roman geschrieben hatte, den man für blasphemisch hielt. Wie Rushdie in der Zeit vor seinem Urteilsspruch aus Teheran wurde auch Hamed von religiösen Extremisten mit dem Tode bedroht.
Weil Ägypten nach islamischen Maßstäben liberal ist, klingt die Botschaft umso düsterer: Auf der Tagesordnung scheint nun weniger Toleranz für Schriftsteller zu stehen, besonders in religiösen Fragen. Wäre diese Bekundung fundamentalistischer Orthodoxie nur auf den Islam beschränkt, wäre das schlimm genug — aber ein solcher Fanatismus macht sich inzwischen auch an scheinbar unwahrscheinlichen Orten bemerkbar: in den Vereinigten Staaten von Amerika zum Beispiel, der Bastion der Menschenrechte. Vielleicht läßt sich der an Rushdie verübten Scheußlichkeit am nützlichsten gedenken, wenn wir vor diesem Hintergrund ähnliche Versuche betrachten, der Freiheit im Namen einer höheren Macht tödliche Wunden beizubringen.
Christen sind für engstirnige Ansichten ebenso anfällig wie Moslems. Der ehemalige Präsident Jimmy Carter, ein „wiedergeborener“ Christ, wird wegen seiner humanen und aufgeklärten Haltung von vielen bewundert — zu Recht. Aber wenn er das Todesurteil gegen Rushdie auch nicht offen billigte, so äußerte er doch seine philosophische Übereinstimmung mit dem Verdammungsurteil des Ayatollah gegen die angebliche Blasphemie des Schriftstellers. Die strikten Fundamentalisten in Islam und Christentum scheinen in Fragen heiliger Schriften seelenverwandt. Wenn man angesichts solcher Intoleranz Dankbarkeit empfindet, daß die Vereinigten Staaten sich niemals zu einer christlichen Theokratie entwickelten, so wie der Iran zu einer islamischen, dann dürfen wir dennoch nicht vergessen, daß im amerikanischen Leben die religiöse Bigotterie nach wie vor eine mächtige Kraft darstellt.
Glücklicherweise wirkt sich diese Bigotterie bis jetzt noch nicht auf Schriftsteller aus, jedenfalls nicht offiziell; in Bezug auf Schriftsteller und die Freiheit des Schreibens bleiben die Vereinigten Staaten wahrscheinlich die freieste Nation der Erde. Aber schon verüben religiöse Extremisten gefährliche Übergriffe gegen die Menschenrechte, und in vorderster Front der Auseinandersetzung steht die Abtreibung. Während sich praktisch jede fortgeschrittene Nation erfolgreich mit dieser Frage auseinandergesetzt und die Abtreibung zugelassen hat — und das gilt auch für katholische Länder wie Frankreich und Italien —, hat dieses Thema in den Vereinigten Staaten haßerfüllte Konflikte ausgelöst. Daß es hier zu keiner Lösung kam, hat unsere Gesetze und unseren politischen Alltag belastet, wenn nicht gar pervertiert, und das Gewebe der Gesellschaft schwerem Druck ausgesetzt. Und es ist eine Gesellschaft, in der aus jeder Umfrage hervorging, daß die überwältigende Mehrheit des Volkes für das Recht der Frauen auf Abtreibung eintritt, wenn sie das wollen. Und gegen dieses Recht sind am wirksamsten nicht jene aufgetreten, die die Abtreibung aus vernünftigen philosophischen oder persönlichen Gründen ablehnen, den Staat jedoch nicht in die Entscheidung einer Frau eingreifen lassen wollen, sondern es waren die Kräfte des religiösen Fanatismus.
Man könnte die hysterischen Gesichter des Mobs bei den kürzlichen Demonstrationen der Abtreibungsgegner in Wichita, Kansas, über die Gesichter der wahren Gläubigen in Bradford in England legen, die vor einigen Jahren nach Rushdies Blut schrien — diese Gesichter wären nicht auseinanderzuhalten. Die islamischen Extremisten und die amerikanischen Eiferer gegen die Abtreibung (die ironischerweise „für das Leben“ eintreten), in erster Linie aus protestantischen Fundamentalisten und Katholiken der äußersten Rechten, haben das gleiche Ziel der Vernichtung: der Vernichtung des Lebens eines Mannes, und der Vernichtung des Rechts einer Frau, über einen zentralen Aspekt ihres Lebens selbst zu bestimmen — die Geburt eines Kindes. Jede Gruppe will für sich die Autorität, grundlegende menschliche Freiheiten abzuschaffen — das ist ein faschistisches Ziel — und jede würde auch nicht vor der Gewalt zurückschrecken, die für eine zivilisierte Gesellschaft unerträglich ist. Die erschreckende und hemmungslose Leidenschaft, die jede Gruppe bei der Verfolgung ihrer Ziele an den Tag legte, hat deutlich gemacht, daß solcher Fanatismus ökumenisch ist — das ist nicht nur ein östliches Phänomen, sondern bedroht den Westen auf gleiche Weise.
An diesem Jahrestag des Beginns von Salman Rushdies Leidensweg mag der Mann selbst einen geringen Trost darin finden, daß sein Martyrium zu Lebzeiten, wenn man das so nennen kann, der Welt deutlicher vor Augen geführt hat, was blinde Orthodoxie an Schrecken und Gefahren für Männer und Frauen in aller Welt bereithält.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen