Genscher in Japan unerwünscht

Bonner Außenminister zum ersten Mal seit sieben Jahren in Tokio/ Japanische Politiker beklagen Defizite der deutschen Politik/ Streit zwischen Genscher und Lambsdorff über Industriepolitik  ■ Aus Tokio Georg Blume

Nippons Regierende sind pikiert. Für Deutschland hegen japanische Diplomaten in der Regel schon aus historischen Gründen eine gewisse Vorliebe und Bewunderung. Doch Bundesaußenminister Genscher, der heute nach Tokio kommt, hat diese Gefühle nie deutlich erwidert. Sein letzter offizieller Antritt zu politischen Gesprächen in Japan datiert auf das Jahr 1985 zurück. Diese Untreue nehmen Nippons Regierende dem Bonner Weltmann heute übel. Doch neben der Wiedervereinigung waren es gerade auch die generell guten bilateralen Beziehungen zwischen Bonn und Tokio, die einen Besuch als wenig dringlich erscheinen ließen.

Der ehemalige Regierungschef Toshiki Kaifu, Vorsitzender des deutschen Freundeskreises im japanischen Parlament, machte der Enttäuschung in Tokio Luft, als er einer Delegation des Deutschen Bundestags empfahl, Bundesaußenminister Genscher könne doch gleich zu Hause bleiben. Diese Mißstimmung ist darauf zurückzuführen, daß der Genscher-Besuch kurz zuvor erneut verschoben worden war.

Nicht nur die japanischen Würdenträger, auch Nippons Politikmacher in den Ministerien sind über die deutsche Japanpolitik verwirrt. Sadao Takeda, der Europa-Chef im einflußreichen Industrie- und Handelsministerium (MITI), sorgt sich offen über die industriepolitischen Empfehlungen von Genschers Planungsleiter im Außenministerium und langjährigem Mitarbeiter Konrad Seitz. Seitz fordert seit Jahren ein stärkeres Engagement der Bonner Regierung in Forschung und Entwicklung. Nur so lasse sich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auf Dauer wahren. „Die Diskussion in der Bundesrepublik läuft in eine unerfreuliche Richtung“, befindet dazu Sadao Takeda und unterstellt der Bonner Regierung protektionistische Tendenzen.

Bislang hatte Bonn der japanischen Regierung als sicherster Verbündeter in Europa gegolten. Wann immer es Auseinandersetzungen mit Brüssel um japanische Importbegrenzungen und andere Handelsprobleme gab, standen die Deutschen in der Regel auf seiten der Japaner gegen die rigoroseren Handelspolitiker in Frankreich oder Italien. Inzwischen kann sich freilich auch Bonn nicht mehr aller Sorgen entziehen, die viele europäische Industrielle mit einem Durchmarsch der japanischen Konkurrenz haben.

Genscher selbst schlug unlängst einen neuen Ton an: „Die Art, wie die japanischen Unternehmen sich auf die Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts konzentrieren, weckt in Amerika wie in Europa Furcht.“ Ausdrücklich warf Genscher den japanischen Unternehmen vor, „Monopolstrategien“ zu verfolgen, mit denen man die europäische Konkurrenz vom Markt verdrängen will. Doch gibt es über diese Kritik des japanischen Wettbewerbsverhaltens in der Bonner Regierung längst keine Einigkeit.

Lautstark hat gerade der FDP- Vorsitzende Graf Lambsdorff in Tokio auf die Gefahr des „Bazillus der industriepolitischen Verheißungen“ verwiesen. Lambsdorff geißelt die Warnungen seiner Parteifreunde vor dem japanischen Technologiemonopol als „Schalmeienklänge von Zukunftspropheten“. Die Offenheit des marktwirtschaftlichen Systems in Deutschland, so Lambsdorff, werde auch gegenüber der japanischen Herausforderung seine Überlegenheit demonstrieren.

In dem deutschen Streit über die richtige Japanpolitik wollen auch die in Tokio ansässigen deutschen Unternehmer ein deutliches Wort mitreden. Als „unmöglich“ bezeichnet der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Folker Streib, die Tatsache, daß Genscher sich sieben Jahre lang von Japan ferngehalten habe. Auch Streib beklagt den Mangel einer Bonner Wirtschaftspolitik, die den deutschen Unternehmern bei ihrer Aufholjagd gegenüber Japan Hilfestellungen bietet. In einem unveröffentlichten Schreiben an Außenminister Genscher fordert die Deutsche Industrie- und Handelskammer deshalb „politische Bemühungen zur Einbindung Japans in Verantwortung für den internationalen Handel“.