: Die Größte muß es sein: Atommüllkippe Greifswald
■ Im April soll für das Gelände der stillgelegten Atomzentrale ein bundesweites Zwischenlager für Atommüll beantragt werden/ Die Stromwirtschaft nutzt Notlage in Mecklenburg-Vorpommern aus/ Landesregierung in Schwerin spielt mit falschen Karten
Greifswald (taz) — Die westdeutsche Stromwirtschaft und die Berliner Treuhandanstalt haben sich hinter den Kulissen darauf geeinigt, auf dem Gelände der stillgelegten Atomzentrale Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern das größte Atommüll-Zwischenlager auf deutschem Boden zu errichten. Die geplante Halle für schwach- und mittelaktiven Strahlenmüll soll auch für radioaktiven Abfall aus den alten Ländern offenstehen und insgesamt 150.000 Kubikmeter Atomabfälle aufnehmen können. Sie wäre über vierzehn Mal größer als das sogenannte Faßlager in Gorleben. Das berichtete das ARD-Magazin Kontraste in seiner gestrigen Sendung.
Die für die Müllentsorgung der westdeutschen Atomkraftwerke zuständige Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) will den Genehmigungsantrag bereits im April beim Umweltministerium in Schwerin einreichen. Die Planungen umfassen außerdem ein Trockenlager für hochradioaktive, abgebrannte Brennelemente, das für etwa 1.500 Tonnen verbrauchten AKW-Brennstoff ausgelegt sein soll.
Politischen Sprengstoff birgt die Entscheidung für eine bundesweite Atommüllkippe am Greifswalder Bodden insbesondere für die CDU/ FDP-Regierung in Schwerin. Mit einem interfraktionellen und ohne Gegenstimme gefaßten Landtagsbeschluß im Rücken, hatten es Ministerpräsident Alfred Gomolka (CDU) und Umweltministerin Petra Uhlmann (CDU) seit letztem Oktober mehrfach kategorisch abgelehnt, am Standort Greifswald Atommüll aus westdeutschen Reaktoren einzulagern. Das geplante Zwischenlager solle ausschließlich die abgebrannten Brennelemente aus den fünf abgeschalteten Reaktoren in Greifswald und dem Uralt-Meiler im brandenburgischen Rheinsberg aufnehmen. Außerdem müsse Raum geschaffen werden für schwach- und mittelaktive Abfälle, die beim vorgesehenen Abriß der Strahlenruinen anfallen. Umweltministerin Uhlmann bekräftigte gegenüber Kontraste noch einmal ausdrücklich diese Position. Von einem „nationalen Zwischenlager“ am Standort Greifswald höre sie „zum ersten Mal“. Am Wahrheitsgehalt der Aussage bestehen jedoch erhebliche Zweifel. Das Schweriner Umweltministerium beteiligte sich bis zuletzt an den laufenden Planungsgesprächen. In den Verhandlungen mit der Stromwirtschaft, der Treuhandanstalt und den Bonner Ministerien für Umwelt und Wirtschaft bezog die Landesregierung zudem einen völlig anderen Standpunkt als in der Öffentlichkeit. Zwar „sei es z.Zt. schwierig, den Bau eines großen Zwischenlagers durchzusetzen“, gab der aus Kieler Barschel-Zeiten ins Schweriner Umweltministerium gewechselte Atom- Abteilungsleiter, Schattke, intern zu Protokoll, „die politische Unterstützung und Genehmigung eines solchen ,großen‘ Zwischenlagers werde aber nicht ausgeschlossen“.
Die westdeutsche Elektrizitätswirtschaft, die um die strahlende Altlast an der Ostsee bisher stets einen weiten Bogen geschlagen hatte, nutzt nun die nach der Stillegung der Atomzentrale entstandene soziale Notlage im Nordosten Deutschlands gezielt zur Lösung ihrer eigenen, immer dramatischeren Entsorgungsprobleme. „Die Elektrizitätswirtschaft hat grundlegendes strategisches Interesse für ein derartiges Lager (nukleares Zwischenlager, Red.), da ab Mitte der 90er Jahre bei den westdeutschen Kernkraftwerken Engpässe bei Lagerkapazitäten zu erwarten sind“, heißt es in einem internen Bonner Ministeriums-Vermerk über die Verhandlungen mit den Stromunternehmen zum „Erhalt des Energiestandortes Greifswald“. Gleichzeitig suchte die Treuhandanstalt seit vergangenem Sommer händeringend nach Möglichkeiten, die Stromwirtschaft doch noch nach Greifswald zu locken. Der anvisierte milliardenschwere Abriß der Strahlenruine kann nämlich erst dann ernsthaft erwogen werden, wenn Lagermöglichkeiten für die abgebrannten Brennelemente und den anfallenden sonstigen Strahlenmüll bereitstehen. Vor allem aber: die Treuhand wollte auf keinen Fall über die „Energiewerke Nord“ selbst — praktisch unbefristet — zum Zwischenlagerbetreiber werden. Als Lösung drängte sich also ein von der GNS betriebenes nationales Zwischenlager der AKW-Betreiber geradezu auf. Beiden Seiten wäre aus der Bredouille geholfen.
Vor Ort formierte sich der Widerstand gegen den „Atommüllimport“ aus dem Westen, seit der Chef des AKW-Betreibers Preußen Elektra, Hermann Krämer, im letzten Oktober erstmals die Zwischenlager-Ambitionen der Weststromer öffentlich machte und bald darauf Greenpeace über die riesige Dimension des geplanten Vorhabens berichtete. Seither wurde in Greifswald nur noch abgewiegelt. Der aus der Berliner Treuhandzentrale nach Greifswald gewechselte Chef der „Energiewerke Nord AG“, Ulrich Löschhorn, beteuerte noch Mitte vergangener Woche, es sei „nicht angedacht, hier im Moment ein bundesweites Zwischenlager zu errichten“.
Trotz der weitverbreiteten Ablehnung gegen den Müllimport aus dem Westen gibt sich die Atomwirtschaft zuversichtlich. Man rechnet offenbar nicht damit, daß die unionsgeführte Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern sich den Planungen ernsthaft widersetzt. GNS- Manager Dieter Rittscher erklärte, der Genehmigungsantrag werde so gestellt, „daß auch Abfälle aus westdeutschen Kraftwerken herkönnen“. Die Atomwirtschaft weiß um ihre starken Karten. Ansonsten stehe die Stromwirtschaft nicht zur Verfügung. Die GNS helfe als Tochterunternehmen der westdeutschen AKW- Betreiber in Greifswald schließlich bei der Konditionierung und Volumenreduzierung des dort anfallenden Atommülls. Er könne deshalb „nichts Unanständiges“ daran finden, dafür im Gegenzug „Stellplätze für die eigenen Abfälle“ einzufordern. Zum Beschluß des Landtags, an der Ostsee ausschließlich Atommüll aus der Hinterlassenschaft der ehemaligen DDR zwischenzulagern, meinte Rittscher, dieser werde „langsam wieder versinken“. Das sei im übrigen auch Umweltministerin Uhlmann bewußt. Nicht mal im rot-grünen Niedersachsen gebe es einen vergleichbaren Versuch, sich aus der bundesweiten Verantwortung zu stehlen, empörte sich Rittscher. Gerd Rosenkranz
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