Bilder des Opfers will er nicht sehen

■ 19jähriger Skinhead steht wegen Totschlags in Ravensburg vor Gericht

Ravensburg/Friedrichshafen (taz) — In der Nacht von 15. auf 16.Juni 1991 wird vor einem Friedrichshafener Lokal ein 34jähriger Angolaner niedergestochen. Der Täter, ein 19jähriger Skinhead, der sich seit Montag dieser Woche vor der 2. Jugendstrafkammer des Landgerichts Ravensburg verantworten muß, wird von seinesgleichen kurz nach der Tat noch als „Held von Friedrichshafen“ gefeiert. Selbst vor einer Störung des Trauerzuges schrecken die Skinheads nicht zurück. Einige der Fascho-Skins begleiten den Trauerzug mit „Sieg Heil“-Rufen und Hitler-Gruß.

Der Angeklagte gibt die Tat zu, will aber plötzlich nicht mehr aus Ausländerhaß, sondern aus Angst gehandelt haben. Nachdem er gemerkt habe, daß der 34jährige Angolaner Agostinho G. ihm überlegen sei, hätte er sein Butterfly-Messer gezogen und dreimal zugestochen. Der als Zeuge vernommene Notarzt berichtet, daß das Opfer noch am Tatort verstorben sei. Zuvor war es zwischen Opfer und Täter zum Streit gekommen, nachdem Agostinho versehentlich beim Balancieren mehrerer Biergläser den 19jährigen Mario R. angestoßen hatte und von ihm daraufhin angepöbelt wurde.

Mario R. ist nach der Tat getürmt, hat sich erst gegen zwei Uhr nachts, als längst nach ihm gefahndet wurde, auf Drängen seiner Eltern der Polizei gestellt. Er bestreitet zunächst vor Gericht, schon am Nachmittag mehrere Schwarze angepöbelt, einem dreijährigen Mädchen ins Gesicht gespuckt zu haben, muß aber dann seine Aussage revidieren. Er gibt zu, bei einem sogenannten „Koma-Saufen“ dabeigewesen zu sein. Gereizt reagiert das Gericht, als sich der Skinhead immer mehr in Widersprüche verstrickt. Als das Gericht fragt, ob er die Bilder seines Opfer sehen will, ereifert sich Mario R.: „Soll ich mich etwa daran aufgeilen?“

Am zweiten Verhandlungstag verschärft sich die Stimmung im Gerichtssaal zusehends. Mehrmals müssen die vier als Zeugen vernommenen Skinheads darauf hingewiesen werden, daß bei weiteren Lügen eine Vereidigung droht. Immer mehr Polizisten werden ins Gerichtsgebäude abgeordnet, als bekannt wird, daß nach und nach weitere Skinheads zum Prozeß kommen, als plötzlich die Herrentoilette mit Nazi-Parolen und dem Satz „Mario — weiter so!“ verschmiert ist.

Als Zwölfjähriger sei er bereits zu den Skinheads gestoßen, gibt der Angeklagte zu. Der Zusammenhalt und die Abneigung gegen alles Fremde, vor allem gegen Ausländer, hat ihn gereizt. Mutter und Stiefvater wirken naiv, geben zu Protokoll, daß sie nichts gewußt hätten von alledem, von den Ordnerdiensten ihres Sohnes für die DVU und seiner angeblichen Beteiligung beim Überfall auf die Jugendherberge in Ravensburg 1989.

Heftig diskutiert wird auf dem Gerichtsflur das angebliche Lossagen des Mario S. von der Szene. Das Urteil wird voraussichtlich heute gesprochen. kw