: Wir sind todkrank!
■ Betr.: "Die wahre Umweltkatastrophe sind wir selbst", Interview mit Sigrun Preuss, taz vom 7.2.92
betr.: „Die wahre Umweltkatastrophe sind wir selbst“, Interview mit Sigrun Preuss, taz vom 7.2.92
Das Interview ist aufschlußreich und bezeichnend zugleich. Wir erfahren wieder mal viel über Naturverständnis, Angst, Verletzbarkeit und Tod, über Opfer und Täter. Man hat das Problem erkannt und analysiert. Nur an praktischen Lösungen mangelt es etwas. Dies wird uns im letzten Absatz klar, in dem Frau Preuss, die bedauerlicherweise immer noch „verschiedene private Gründe“ (was sonst?) hat, ein Auto zu fahren, leider zugeben muß, daß das „Prinzip der kleinen Menge“ (ein schöner Ausdruck übrigens) trotz allen Theoretisierens auch für sie gilt. Rurik Hübner, Kiel
Es ist also wieder einmal das Bewußtsein (hier der Umgang mit den „Gefühlen“ im selbigen), welches für die Gestaltung der Wirklichkeit verantwortlich ist. Nicht die Form unserer Gesellschaft, der Kapitalismus, sondern ein Täter-Opfer-Dualismus verhindert entscheidende Schritte gegen die ökologische Katastrophe. Zwar sieht Preuss sehr richtig die Unverbundenheit von Tat und Folge in ihrem Interview, klärt dieses Mißverhältnis aber nicht. Selbst der richtige Ansatz, den Ursprung des Problems in der spezifischen Naturbeherrschung unserer Zivilisation zu sehen, bleibt unfruchtbar, wenn er auf den einzelnen Menschen statt auf die Gesellschaft bezogen wird. Denn die Schere zwischen „theoretischem Wissen“ und tatsächlichem Handeln bleibt so wiederum am Individuum hängen, dem es doch so schwer fällt, seine Täter-Opfer-Rolle produktiv anzuwenden. Allerdings, so Preuss, müßten auch politische Maßnahmen ergriffen, „Handlungsanweisungen“ gegeben werden. Wie erfolgreich aber, gerade auf der „politischen Ebene“, ökologische Forderungen sind, zeigt das Vegetieren der „Grünen“.
Letztlich kommt Preuss zu einem innerpsychischen Herrschaftsverhältnis (Verstand über Gefühle), anstatt zu erkunden, welche individuellen Möglichkeiten der einzelne unter den wirklichen Herrschaftsverhältnissen seiner Gesellschaft hat, anstatt zu sehen, daß wir uns selbst vernichten, nicht aufgrund eines falschen Bewußtseins, sondern aufgrund der Nichtexistenz eines solchen, kollektiven von uns selbst. Denn auch Preuss muß zugeben, daß eine solche Katastrophe nicht ein Mensch macht, sondern eine Gruppe. So kommen wir nicht umhin, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu betrachten. Die wirkliche Katastrophe geschieht weder außerhalb des Menschen noch in ihm, sie geschieht im falschen „Miteinander“ der Menschen, das nicht ein „Miteinander“ ist und dennoch bleiben muß. Robert Kellner, Hannover
Wann wird der Autofahrer endlich erwachsen und hört auf, sein Leben damit zu verbringen, auf Direktiven von oben oder, wie Preuss es ausdrückt, auf „Verhaltensangebote“ zu warten. Auch hier, in diesem Interview, ist die deutsche Befehlsempfängerhaltung bis ins kleinste hin sichtbar. Was tun die Theoretiker wie auch Politiker? Sie finden tröstende Erklärungen und beschwören geradezu eine Gesellschaft, die nicht anders kann, indem wie hier durchgehend von einem „wir“ geredet wird. Solcher Haltungen gibt es beileibe genug, und das Interview kann sich getrost unter all die Äußerungen einreihen, die Probleme benennen, ja vielleicht sogar ein paar Ausblicksluken öffnen, wie das „Prinzip der kleinen Menge“ und „die Umweltkatastrophe sind wir selbst“, um dann hinter die eigene Erkenntnis zurückzufallen, in sein Auto einzusteigen und in den allgemeinen Abgasnebel zurückzukehren, unterzutauchen (dies ist durchaus metaphorisch gemeint). Es ist gut möglich, ohne Auto auszukommen, meinetwegen auch meistens gut möglich, sollte auf diese Einschränkung Wert gelegt werden; ich kann Menschen nicht mehr ernst nehmen, die ihre eigenen Erkenntnisse nur so weit ernst nehmen, solange sie ihrer Karriere, ihren Interessen dienlich sind. Ich möchte mich nicht von dieser Krankheit, die ich Bequemlichkeit und Egoismus nenne und die sich hinter einem „wir“ versteckt, anstecken lassen.
Im übrigen finde ich die Vermischung und Verwendung der Kategorien Täter und Opfer völlig deplaziert und unstatthaft. Opfer ist, wem von anderen etwas angetan wird, und so, wie in diesem Interview damit umgegangen wird, dient es einmal mehr dazu, die Täter zu entschuldigen, sprich: zu entlasten. Hanne Gebhard, West-Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen