: Keine Alternative zum Sielwall
■ Betr.: Polizeiaktionen am Sielwall
Dank unseres neuen Innensenators Herr F. v. Nispen kommen wir doch noch in den Genuß, der so oft angekündigten „Dezentralisierung“ im Drogenbereich.
Oder was sonst soll mit der „Zerschlagung“ ( wie üblich im Kampfvokabular) der offenen Drogenszene erreicht werden und wem würde sie nützen?
Einige wenige Geschäftsinhaber direkt am Sielwall applaudieren der Polizei, aber was ist mit dem Rest der Ostertorbewohner? Früher wußten sie wenigstens, wenn sie mit ihren Kindern spazieren gingen, wo sie den Bogen um die Abhängigen zu machen hatten. Mittlerweile kommen ihnen aber ganze Horden von Abhängigen in jeder Nebenstraße entgegen. Und Rauschgift wird doch eher weniger als mehr festgestellt.
Spätestens am 2. Tag der verstärkten Kontrollen hat wohl auch der dümmste Rauschgifthändler seinen Verkauf vom Sielwall in die Nebenstraßen verlegt. Aber wie die im Ostertor ansässigen Drogenberater jetzt noch auf ihre Klientel einwirken sollen, ist uns ein absolutes Rätsel. Soll ein Sreetworker seine Gespräche im Laufschritt und auf der Flucht vor der Polizei führen? Und wenn ein Süchtiger auf dem Weg zur Drobs, Bewährungshilfe etc. in Kauf nehmen muß, mehrere Stunden bei der Polizei zu verbringen, wird ihn das mit Sicherheit nicht sonderlich motivieren, diese vom Senat geförderten Einrichtungen aufzusuchen.
Für Leute, die sich mit Abhängigen beschäftigen und die Junkies selber, stellt sich doch die Frage: Sind diese Aktionen schlichte Naivität eines Senators, der sich jetzt auch im „Alltagsgeschäft“ der Polizei mit Stammtischmethoden profilieren will, oder steckt mehr dahinter?
Es bleibt abzuwarten, wie andere Behörden, Projekte, Vereine usw. auf die massive Behinderung ihrer Arbeit reagieren werden. Den Abhängigen allerdings bleibt zum Sielwall keine Alternative. Wer um spätestens 10 Uhr seinen Container verlassen muß, kann ja schlecht den ganzen Tag mit der Straßenbahn fahren, oder im Cafe sitzen und das noch von der Sozialhilfe.
Wir — die Betroffenen — fordern:
-die sofortige Einstellung der repressiven Polizeiaktionen am Sielwall, genauso wie die Polizeiaktionen auf dem Drogenstrich,
-den Ausbau der Notübernachtungen und zugleich ausreichende Versorgung mit Wohnraum,
-verbesserte und erleichternde Methadonvergabe,
-Öffnung einer arbeitsfähigen Notambulanz in geeigneten Räumen und Szenennähe,
-Entkriminalisierung von Konsumenten,
-Autonome Räumlichkeiten mit rechtsfreiem Raum, welche als „Druckräume“ benutzt werden können.
Inge Baumann
J.E.S.-Bremen
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