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Die Illusion Bundesratsmehrheit

■ Wie bereits die CDU zu Zeiten Helmut Schmidts, scheitert nun auch die SPD bei dem Versuch, Politik über das Ländergremium Bundesrat zu gestalten

Auch Helmut Kohl und Björn Engholm reden manchmal die gleiche Sprache. Und auch in der Sache können sie mal gemeinsam danebenliegen. „Wir werden indirekt mitregieren, damit ist die Koalition in Bonn am Ende. Wenn nicht in diesem Jahr, dann im nächsten oder übernächsten Jahr“, verkündete Helmut Kohl 1976, als seine CDU die Mehrheit im Bundesrat erreichte. Björn Engholm surfte 1991 auf der gleichen Welle, als seine Partei nach dem Wahlsieg in Rheinland-Pfalz die Mehrheit im Bundesrat zurückeroberte und er ankündigte, Kohl nun „die rote Karte“ zu zeigen.

Beide wurden indes schnell eines Besseren belehrt. Wie Schmidt trotz CDU-Bundesratsmehrheit noch über sechs Jahre im Amt blieb, wurden aus Engholms roten Karten in zwei entscheidenden Spielen glatte Eigentore. Das hätte der SPD-Chef aber schon aus den CDU-Erfahrungen lernen können. Kohl erlebte bereits wenige Monate nach Erreichen der CDU-Bundesratsmehrheit einen entscheidenden Tiefschlag. Während er als Oppositionsführer im Bundestag gegen die zweiten Ostverträge wetterte, stimmten im Bundesrat Niedersachsen und das Saarland — beide damals CDU — mit Helmut Schmidt und für die Polen-Verträge. Genauso ging es nun Björn Engholm. Zwar konnte er im ersten Anlauf noch die von der SPD lange kritisierte Senkung der Unternehmungssteuer erfolgreich im Bundesrat blockieren, doch ließ der Tiefschlag nicht lange auf sich warten. Im Dienst des „Aufschwung Ost“ forderte die Bundesregierung ein sogenanntes Beschleunigungsgesetz, mit dem vor allem der Straßenbau zügig vorangetrieben werden soll. Planfeststellungsverfahren sollten gestrafft, Bürgereinwendungen unmöglich gemacht werden. Die SPD prangerte dieses Gesetz als Rückfall in die ökologische Steinzeit an. In einem Hearing kam man einstimmig zu dem Schluß, daß „das Beschleunigungsgesetz von uns nicht mitgetragen werden kann“. Trotzdem scheiterte die SPD im Bundesrat an den Interessen des Landes Brandenburg.

Stolpe zog mit seinen ostdeutschen Ministerpräsidentenkollegen an einem Strang und ließ sich von der Parteiführung nicht auf die Parole „Vorfahrt für die Ökologie“ festlegen. Ohne Infrastrukturmaßnahmen kein Wirtschaftsaufschwung.

Tatsächlich gelang es den Genossen in anderen Streitfragen durchaus, über den Bundestag Einfluß zu nehmen, beispielsweise bei dem Gesetz gegen illegalen Waffentransport, in dem die Bundesregierung das Zollkriminalamt ermächtigen wollte, nahezu uneingeschränkt Telefone abzuhören, oder auch beim Streit um die Verlängerung des Zivildienstes. Doch die Mehrheit im Bundesrat ist, wie Herta Däubler-Gmelin anmerkte, im Prinzip keine Gestaltungs- sondern bestenfalls eine Kontrollmehrheit. Deshalb ist der Bundesrat letztlich auf Konsens angelegt. Das mußten schon die Christdemokraten feststellen, die in der Phase der sozial-liberalen Koalition von vielen hundert Gesetzen letztlich nur 20 durch ihre Bundesratsmehrheit tatsächlich verhinderten. Spätestens seit gestern wird auch die SPD dieser Tatsache Rechnung tragen. JG

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