piwik no script img

Kräftig, charmant, streng, barock

■ Malerei und Skulptur: Sechs MeisterschülerInnen der Hochschule für Künste 1992/92 stellen Produktionen des letzten Jahres aus

Ernsthaft und nur unfreiwillig komisch wirkte die einzige kleine Ameise, als sie bei der Besichtigung auf dem gewaltigen Holz herumkrabbelte, übrigens amerikanische Roteiche, 125 Jahre alt und ehemals riesig. Dieses Holz hier war mal ein Ast, selbst dick wie ein ausgewachsener Baum, und steht jetzt als Kunstobjekt auf dem kühlgrauen Kunststoffboden der Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) auf dem Teerhof.

Über den Verbleib der Ameise ist nichts bekannt, das Holz ist als Baum oder Ast kaum wiederzuerkennen. Ulrike Gölner (Altenstein-Schülerin) hat mit der Motorsäge einen schweinbar wackeligen Turm von Kuben zugeschnitten, die einzustürzen, zusammenzubrechen scheinen und doch ein ganzer, tonnenschwerer, nur mit Gabelstaplern bewegbarer Block sind. Einige Eisenstangen, die früher im Leben einmal den Baum zusammenzwingen sollten, stecken noch drauf wie ein Gehörn, stecken noch drin und haben die Gerbsäure im Holz zum Ausbluten gebracht, bläulich.

Ulrike Gölner, 33, ist eine der sechs Bremer „MeisterschülerInnen“, die derzeit in Birgit Wallers GAK ihre Produktion des letzten Jahres ausstellen (s. Kasten). Unverkennbar Gölnersche Holz- und Sägearbeit sind auch die drei „Wege“ auf dem Boden, fast eine Sinnestäuschung. Da hat sie eben nicht Vierkanthölzer im Eisenbahnschwellen-Format zersägt und gedreht wieder zusammengefügt. Es sieht zwar sehr so aus. Aber die Lebens-Linien, die Gefäße des Eichenholzes, die Jahresringe überbrücken die Kanten, Schluchten, Grate und Schnittflächen. Die drei „Wege“, kippelig, abfallend, ansteigend, gewunden, das sind ganze, mit der Säge gestaltete Stücke, Äste, mit verblichener weißer Lasur gegen die gemütlich hölzerne Eichenfarbe bestrichen.

Richtig witzig, übermütig, und dabei so paradox um gefaßte und aufrechte Haltung bemüht: die Dreiergruppe „Blümi, Mokel und Zwickel“ von Marianne Klein, 42, Otto-Schülerin. Wie Katze und Hund rechts und links neben der Frauen-Skulptur im Peddigrohr-Röckchen ernste Gesichter machen und dabei Klobürsten- Kopf und Besenstiel-Schwanz wie eine Lagerfeld-Kollektion tragen! Wie geschlossene Figuren ohne Gestik so anrührend sein können, so absurd charmant, so königlich, wie nur eine ägyptische Prinzessin sein könnte, die samt ihren Sphingen unter die Räuber geraten ist! „Ägyptisch? Keine Absicht, aber eine Ehre“, findet Marianne Klein. Einen Raum weiter hat sie ein richtiges Mißverständnis mutmaßlich billigend in Kauf genommen. Wer als Zehn Kubikmeter Raumbild — Sunlicht ein Drahtgitter-Quadrat erfindet, von dem Nylon-Anglerschnüre herabhängen, mit Angler-Gewichten ins Gleichgewicht tariert, die einem Schatz von mindestens 60 Bildchen, Plastiken und Plastik-Fischen wie Brathering in Ölschälchen präsentiert, darf sich über die Assoziation „Versunkene, entdeckte Unterwasser-Funde“ nicht wundern! „Nein!“, widerspricht Marianne Klein entschieden, „das hat mit Wasser nichts zu tun!“ Auflösung: Ent-Sockelung sei gemeint, Aufhebung der Schwerkraft. Deshalb stehen, schweben die Bilder im Raum, bildet das Ganze einen Kubus aus Luft und Schnüren. Wie bei der Dreiergruppe scheint das Eigenleben der Objekte fast die Nähte, die Rahmen platzen zu lassen, und völlig vergeblich, geradezu absichtlich vergeblich ist diese Mühe um Linie, um Ordnung.

Nikola Blaskovic, 30, Thiele- Schüler, lebt und malt gerade in Paris. Deshalb sind seine farbigen Bilder wie „Wie ein kleines Boot im Sturm der Zeit“ und „Erzählung von fernen Ahnen“ nur durch Gucken und Raten zu ergründen. Blaskovic erzählt nämlich Geschichten mit dem Pinsel, freundlich wie seine Titel, hebt einiges heraus, läßt anderes nur ahnen, in Grau verschwinden, Kirchen kommen vor, ein knallrotes Dach.

Zur Voyeurin macht Susanne Dittler, 31, Schmitz-Schülerin, ihr Publikum. Denn das ist doch offenkundig ein privater Brief an sie gewesen, den sie auf ihr Bild geleimt hat, verwischt, aber deutlich zu lesen, für alle, die sich danach bücken: „Liebe Susanne, das von mir gekaufte Ölbild habe ich nochmal aufgestellt, ungerahmt. Mir gefällt es doch gut und ich will es behalten. (...) Es spiegelt darüber hinaus Deine (unsre) Sorte Menschen, unsere Einstellungen...“ Solches schrieb man ihr mit flüssiger Füllerschrift unter dem feinen Briefkopf der Galerie Cornelius Hertz. Susanne Dittler richtet auf ihren Bildern Räume ein, möbliert Zimmer und Flure, oft kommen Stühle vor. Einer, weiß und hochlehnig, steht kaum in einer Ecke aus Linien, schwebt eher aus dem oberen Bildrand. Und dann taucht im Bild rechts daneben die Lehnen- Oberkante wieder auf, unten im Bild, wie zum Zusammensetzen. Aber: Es würde nicht passen.

Hartmut Schröder, 30, Greune-Schüler, interessiert sich für Barock und hat große Fenster- Rollos mit Gold und Erdfarben bemalt. Immer wieder tauchen sorgfältig gestaltete Gesichter auf wie das der Schachmeisterin Judith Polgar oder des Schweizer Bildhauers Tinguely, der als verallgemeinerter „Typ von Mann“ erscheint (Schröder). Die Bilder von Minea Rosteck, 26, Greune- Schülerin, sind geometrisch und spielen mit abstrakten Anspielungen, die „nicht immer gleich inhaltliche Codierungen“ sein sollen (Rosteck). Die kleinen Menschen-Prototypen erscheinen erst auf den zweiten Blick. Auf Lack, der vom Ölgrund als blasige Haut abgestoßen wird, formt sie einen Gipshund, grau lackiert, der von zweidimensionalen Luchsen eingekreist wird: Jäger und Beute.

Die Ausstellung der sechs MeisterschülerInnen ist in ihren Themen, Materialien und Methoden vielfältig, weit mehr als sechsfältig. Gut anzugucken auch an einem grauen Tag, wenn die Weser jenseits der Fenster wie bestellt eine bleigrüne Kulisse abgibt. Susanne Paas

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen