DEBATTE: Nicht davonlaufen, einmischen!
■ Wider die Schimäre der unbefleckten Kunstakademie — Replik auf den offenen Brief von Freya Klier
Liebe Freya Klier,
spaziert man durch den Tiergarten, flaniert in dem Block-Ensemble der Internationalen Bauausstellung 1957, so steht man am Hanseatenweg 10 plötzlich vor ungewöhnlich launisch hingestreckter Düttmann-Architektur. Zur weiträumigen, verschlafenen Vorhalle der West-Akademie der Künste führen einige Stufen hinab; BesucherInnen sollen der Besonderheit des Ortes gleich gewahr werden. Viel zu selten hat diese West-Akademie ihre Abgeschiedenheit dazu genutzt, streitbar Positionen zu entwickeln und sich in die Stadtpolitik einzumischen. Einige Abteilungen der Akademie haben über Jahre vor sich hin geträumt und sind nun jäh erwacht. Der trauliche Alkoven ist bedroht, Mitglieder der Ost-Akademie stehen vor dem Bettvorhang. Die West-Akademie ist am Ende der Beschaulichkeit, und das ist gut so.
Die Entwicklungsperspektive, die in ihr steckt, blitzte immer wieder auf. Einzelne Ausstellungen, Sommerakademien, Diskussionsforen waren rebellisch inmitten der die Zeitströmung sichtbar spiegelnden Mattigkeit. Auf diese anderen haben wir gesetzt; mit Walter Jens haben sie sogar einen Aufrührer zum Präsidenten gewählt. Mag sein barscher Führungsstil auch umstritten sein — die konservativ-schläfrigen Michelmützen inner- und außerhalb der Akademie reiben sich zu Recht an ihm. Seine altersweise Wachheit ist ihnen suspekt, seine Angriffslust zuwider.
Hätte nun der Senat oder hätte das Abgeordnetenhaus frühzeitig „eingreifen“ müssen? „Aufwachen oder Geld weg!“, diese brachiale Drohung wäre möglich gewesen. Glücklicherweise wurde sie nie ausgesprochen. Es bestand große Einigkeit im politischen Raum, daß die Autonomie der Akademie, wie sie im Akademie-Gesetz festgeschrieben ist, gewahrt bleiben muß.
Staatsferne und innere Demokratie sollten geachtete Grundprinzipien bleiben — in bewußtem Gegensatz zur schmückenden realsozialistischen Akademie voller Staatspreisträger jenseits der Mauer.
Ginge es darum, die Ost-Akademie in toto mit der West-Akademie zu fusionieren, so würden auch wir aufschreien. Noch vor Monaten habe ich alle Gespräche darüber abgelehnt, habe die mittelfristige Auflösung der Ost-Akademie, verbunden mit einer Einzelzuwahl von ausgewählten Mitgliedern durch die Abteilungen der West-Akademie, für das einzig verantwortbare Verfahren gehalten. Dem „Renommee-Schuppen von Kurt Hager“, wie Du schreibst, wollen auch wir keine Zukunft geben. Doch diese Akademie gibt es nicht mehr. Ihre Immobilien, so hört man, sollen teilweise an pharmazeutische Gesellschaften zurückfallen, ihre Mitarbeiter (abgesehen vom Archiv-Bereich) bis auf eine Handvoll entlassen werden. Soviel zu dem, wovon leider niemand spricht. Große Veränderungen hat es indes auch und gerade bei der Mitgliedschaft gegeben. Ist es denn nichts, daß die Ost-Akademie 51 ihrer 120 Mitglieder hinausgewählt hat? Zählt es nicht, daß Hermann Kant und Günther Rückert austraten? Viele der zu übernehmenden Mitglieder der Ost-Akademie werden auch Dir kein Problem sein. Können denn die anderen noch so gefährlich werden, daß es lohnte, in der Gesamtberliner oder, besser noch, Berlin-Brandenburgischen Akademie der Künste, Angst vor ihnen zu haben?
Jetzt als Politiker noch auf der Einzelwahl zu bestehen heißt die Autonomie der West-Akademie der Künste zu mißachten. Sie hat sich mit Zweidrittelmehrheit für die Übernahme aller noch in der Ost-Akademie verbliebenen KünstlerInnen entschieden, und ich halte es für eine durch den Respekt vor der Akademie-Autonomie gebotene Selbstverständlichkeit, dies gesetzlich möglich zu machen. Die Fraktion Bündnis 90/Grüne hat sich dazu eindeutig entschieden. Allen Versuchen der CDU, die aktuelle Diskussion dazu zu nutzen, das Akademie-Statut auszuhöhlen, die innere Demokratie zu beschränken und die Staatsferne zurückzunehmen, werden wir uns widersetzen. Eine neue Akademie, die nicht die gleichen Rechte wie die bisherige West-Akademie hat, wird es mit unserer Stimme nicht geben.
Der Bett-Vorhang der West-Akademie aber muß aufgerissen werden. Nun gilt es, die Auseinandersetzung zu führen um die Aufnahme-Politik der letzten Jahre. Und nun gilt es, gerade jene aufzunehmen, die zu DDR- Zeiten keinen Zugang zur Akademie erhielten. Jene „Täter“, die nun übernommen werden sollen, dürfen keine Ruhe haben in der Akademie. Sie müssen dort auf die von ihnen niedergehaltene Opposition treffen, sie müssen sich stellen. Sie müssen sich ebenso stellen wie die Problem-Gestalten der West-Akademie; Geschichte und Geschichten müssen aufgerollt werden. Dazu braucht es Foren, bedarf es einer Öffnung der Akademie für Menschen vor dem Greisenalter. Die formelle Mitgliedschaft ist dabei nicht das wichtigste, doch sie zählt. Deshalb unser Appell: Nicht davonlaufen, nicht austreten, sondern einmischen und umgestalten! Die Chance einer pluralen und autonomen Akademie darf nicht vertan werden. Albert Eckert
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