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„KOMM BITTE VOR ACHT“ Von Philippe André

Karl hatte mich eingeladen. Der Abend war längst überfällig. Eine richtige Splatternight sollte es werden mit blutigen Steaks und ebensolchen Filmen. Ich verspätete mich nur unwesentlich, fand dennoch die Haustür bereits verschlossen. Mist! In Berlin jedoch keine Seltenheit. Noch immer gibt es in vielen alten Mietshäusern keine äußeren Klingelanlagen. Da das Haupttor jedoch stets korrekt verriegelt wird, ist „Komm bitte vor acht“ zu einer Berliner Standardformulierung geworden, die durchaus Schlüsse auf die Wohnverhältnisse potentieller Gastgeber zuläßt.

Aber kein Problem! Kennt man ja! Feuchte Minusgrade und ein lauernder grippaler Rückschlag treiben mich hurtig zur Telefonzelle auf der anderen Straßenseite. Das Ding sieht gut aus, doch der Hörer fehlt. Unglaublich! Einfach abgeschnitten und mitgenommen! Macht man damit in Neukölln Telefonsex? Ganz schön nervig! Wo ist denn die nächste? Auf dem Weg zum Herrmannplatz werde ich zweimal von frechem Husten angefallen. Schon von weitem erkenne ich außerdem deutlich meine schlechten Karten. Zwei sind drin, aber vier stehen draußen. Ich warte.

Zwischendurch schießen mir Bilder geplatzter süßer Rendezvous durch den Kopf; wichtige Treffen, die nie zustande kamen, bereits im Ansatz gescheiterte subversive Aktionen, deren Details auf einer letzten, klandestinen Sitzung — im vierten Stock irgendeines zweiten oder dritten Hinterhofes diskutiert werden sollten. Wer vermag zu ermessen, was an Hoffnungen, Wünschen und Begierden Berliner Bürger in der Geschichte der Stadt bereits an solch popeligen Haustüren zerschellt sein mag?

Gegen 21 Uhr nehme ich endlich den Hörer ab. Und plötzlich ist mir ganz heiß: Kartentelefon! Während ich vor Wut noch schreie, entgeht mir doch nicht der neue, rasselartige Ton in meiner Brust. Zurück zu Karls Haustür. Nichts! Ein aufmerksamer Gastgeber wäre doch längst nach unten geeilt, um den lieben Besuch nicht unnötig warten zu lassen. Alles dunkel! Ist das ein Penner! Nochmal in eine Zelle? Niemals! Aber drüben, der Imbiß. Die haben doch ein Telefon. Und warm wärs da auch, mensch!

In der Bude ist es noch nebliger als draußen. Es stinkt fürchterlich. Dafür ist es aber schwer überheizt. Ein paar Leute versuchen, sich auf den gefährlich hohen Barhockern zu halten. Mit dem Rücken zu mir steht eine klobige Gestalt mit langer Mähne. Der Typ ist entweder stock zu oder eingeschlafen. Es dauert ewig. Als er sich umdreht, erstarre ich. „Ey Philippe, da biste ja endlich. Ich hol' schon die zweite Fuhre, Mann.“ Tatsächlich, seine Stimme ist bereits leicht belegt. Meine versagt. Ich muß aussehen wie ein Yeti, denke ich. Die Wut steigert sich noch, als ich erfahre, daß Karl „echt voll begeistert“ von dem ersten der Streifen ist, die wir uns gemeinsam ansehen wollten.

In solch einer Situation spendet auch der Umstand, daß er morgens um drei immerhin umsonst mit mir runter mußte — die Tür stand offen — traditionell nur wenig Trost.

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