Seiters läßt sich Zeit im Tarifkonflikt

■ Zweite Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst ohne Arbeitgeber-Angebot

Stuttgart/Berlin (afp/taz) — Nicht einmal die Ausgangspositionen sind in der Tarifauseinandersetzung des öffentlichen Dienstes nach der gestrigen zweiten Verhandlungsrunde in Stuttgart klar. Während die gewerkschaftliche Forderung nach einer 9,5prozentigen Lohn- und Gehaltserhöhung für die 2,3 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes seit Monaten auf dem Tisch liegt, hüllte sich Innenminister Seiters als Verhandlungsführer des Bundes in Schweigen: ein Angebot legte er nicht vor. Seiters meinte, offensichtlich sei die Diskrepanz zwischen den Grundannahmen über den zur Verfügung stehenden Verteilungsspielraum zu groß. Man solle erst einmal darin eine Annäherung suchen. Danach könnten die Arbeitgeber auch ein Angebot vorlegen. Die ÖTV-Vorsitzende Wulf-Mathies betonte, dies sei ein schlechter Anfang. Sie habe den Eindruck, daß Bundeskanzler Kohl über den öffentlichen Dienst allen anderen Bereichen „einen Dämpfer verpassen“ wolle. Die ÖTV lasse sich jedoch nicht zum „Vorführknaben“ machen und werde sich der Verzögerungstaktik mit allen Mitteln erwehren.

Die Situation der öffentlichen Arbeitgeber ist in diesem Jahr besonders prekär. Bei den Ländern und Kommunen, die einen deutlich höheren Personalkostenanteil aufweisen als der Bund, sind die Spielräume für Lohn- und Gehaltserhöhungen wegen des angekündigten Wegfalls der Länderstrukturhilfe und anderer Belastungen deutlich geringer als beim Bund. Die Verständigung auf ein Angebot ist deshalb erschwert. Seiters: „Wir haben viel Zeit, weil wir die besseren Argumente haben.“

Unterdessen haben bei den Banken die ersten ganztägigen Streiks begonnen. Nach Angaben der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) beteiligten sich rund 80 Prozent der 400 Angestellten der Bausparkasse Mainz am Donnerstag am Streik. Die HBV zeigte sich von der hohen Streikbereitschaft positiv überrascht. Auch 150 gewerkschaftlich nicht organisierte Beschäftigte hätten sich an der Aktion beteiligt. In der nächsten Woche sollen weitere Urabstimmungen und Streiks folgen. Zum Auftakt der Tarifrunde in der Metallindustrie hat der traditionell führende IG-Metall- Bezirk Stuttgart gestern auf einer Sitzung der großen Tarifkommission seine Forderung gestellt: 9,5 Prozent wollen die Metaller entsprechend einer Vorgabe ihres Vorstands. marke