»Bibliotheks-Beschimpfung« von oben

■ Kultursenator Ulrich Roloff-Momin schuf eine neue Form der Aktionskunst

Armer Philippe! Jetzt weiß der streitbare französische Nutzer der Amerika-Gedenk- Bibliothek gar nicht mehr, an wen er seinen Protest richten soll. Der eigentliche Adressat kommt dafür nicht mehr in Frage. Senator Roloff- Momin setzte sich am Freitag an die Spitze der Protestbewegung gegen seine eigene und die Politik des Finanzsenators. Er eröffnete die Ausstellung Bibliotheksbeschimpfung im Foyer der AGB.

Philippe Mongauzi klagt verwaltungsgerichtlich gegen die »arbeitnehmerfeindliche Maßnahme«, die Amerika-Gedenk-Bibliothek (AGB) abends um 19 Uhr statt um 20 Uhr zu schließen. Das sei ein Verstoß gegen das »Sozialgebot, festgelegt im Artikel 20 des Grundgesetzes«. Auch am Freitag gab er keine Ruhe, als Roloff-Momin die gesammelten Protestpostkarten zur Betrachtung freigab, aus der die Ausstellung besteht. Warum die Leser nicht gefragt worden seien, wollte Philippe wissen. Und so kam heraus, daß es eine strategische Maßnahme von oben war. Schneide man die Benutzungszeit da ab, wo die meisten LeserInnen kämen, unkte es aus Roloff-Momins Begleiterstab, würde der Protest wohl am größten werden.

Als es um den Erweiterungsbau für die aus allen Nähten platzende AGB ging, führte Roloff-Momin plötzlich eine »Zwischenlösung« im Munde. Nachhakende blaffte der Kultursenator an, er werde darüber natürlich nichts Weiteres sagen. Auch das sei für ihn eine strategische Frage. Er wolle schließlich den Erweiterungsbau. Die ursprünglich für 1994 anvisierte Vergrößerung der AGB hatte der Finanzsenator ohne Rücksprache mit dem Kulturressort aus der laufenden Investitionsplanung gestrichen. Roloff-Momin habe den Bau »wieder angemeldet«, versicherte er den LeserInnen.

Die AGB ist aus der Perspektive vergleichbarer Bibliotheken Westdeutschlands auf dem »Stand der 70er Jahre«, wie Uta Küpper-Morgenstern vom Personalrat verriet. Ihr fehlt der Platz, sie hat viel zuwenig Personal, um den Ansturm der knapp 100.000 LeserInnen jährlich zu bewältigen. Die EDV-Anlage an der Ausleihe ist altmodisch und krisenanfällig. Kurz: Die AGB »kann ihrem kulturpolitischen Auftrag kaum noch nachkommen«, so im O-Ton Roloff-Momin, der am Freitag zum ersten Mal die AGB besuchte.

In einem Brief malte der Personalrat das skandalöse Bild vollends aus: die Hallendecke sei brüchig, die Beleuchtung unzureichend und die Kohlendioxidwerte der Atemluft aufgrund einer defekten Umwälzanlage an der Grenze des Zulässigen. Roloff-Momin warnte davor, nun innerhalb des Kulturetats die eine gegen die andere Sparte »aufzurechnen«. Man müsse im Verteilungskampf unter den Fachressorts des Senates bestehen. Dazu brauche man den Rückenwind der LeserInnen. Und den hat sich der Kultursenator offenbar mit der Postkartenaktion selbst beschafft. Entgegen anderslautenden Berichten (auch in dieser Zeitung) kam die Idee für die LeserInnenbeschwerden nämlich direkt aus seinem Hause — und nicht etwa von der AGB. Verkehrte Welt: Leserkritik gegen »die da oben« auf Wunsch »der da oben«.

Wie könnte man den Protest wieder zu einem Instrument der LeserInnen wie Philippe Mongauzi machen? Indem Mann und Frau mit ihren Büchern die Bibliothek »sprengen« — durch gleichzeitige Rückgabe zu einem bestimmten Termin. Herr Roloff-Momin, wir wollen wieder bis acht lesen können, oder sie bekommen ihre Bücher zurück. Alle auf einmal, zum Beispiel nächsten Freitag, 19 Uhr.

Ach ja, wie die Ausstellung selber ist: informativ, ein bißchen zensiert vielleicht von AGB-Direktor Milan Bulaty und mit abwischbarer Folie an die Foyer-Fenster geklebt. Christian Füller