Das Ende der Krabbe-Spiele

■ Die XVI. Olympischen Winterspiele von Albertville sind am Sonntag abend mit großem Pomp in einem Meer aus Flammen untergegangen — taz-Reporter Matti Lieske liest aus der Asche

Als der „ehrenwerte olympische Präsident“ Juan Antonio Samaranch die Spiele für geschlossen erklärt hatte, das Olympische Feuer erloschen war und das Zeremonienstadion von Albertville im Flammenmeer eines wahrlich beeindruckenden Feuerwerks versank, waren sie endgültig vorbei: die 16. Olympischen Winterspiele im französischen Savoyen, die in die deutsche Sportgeschichte wohl als die „Katrin-Krabbe-Spiele“ eingehen werden.

Da konnte Gunda noch so dynamisch dahingleiten, der schnelle Mark noch so trefflich in der Gegend herumballern und Hackl-Schorsch noch so viel Weißbier saufen, Katrin Krabbes Schatten lag über allem. Die Zeit der Unschuld war vorbei, Argwohn grassierte. Valium für den ruhigen Schuß in der Patronenhülse des Biathleten, eine Ladung Speed in den Kufen der Eisschnelläuferinnen, der Anabolikaschub aus der Skistockspitze des Langläufers — nichts scheint unmöglich. Wo war Björn Dählie, als er zwischen Kilometer 47 und 48 des 50-km-Langlaufs nicht von den Fernsehkameras erfaßt wurde? Bei seinem Urindepot natürlich, das er im Wald von Les Saisies im letzten Sommer angelegt hat. Was war im Rasierwasser von Alberto Tomba, der nach seiner Rasur zwischen den beiden Slalomläufen plötzlich fuhr wie der Teufel? Daß der V-Stil in Wahrheit nur erfunden wurde, damit die Springer besser an den flugverlängernden LSD-Trip in den Ski-Spitzen herankommen, ist längst ein offenes Geheimnis.

Alles Quatsch, sagt da unsere oberste Doping-Instanz Professor Donike. Bei Olympia sei sowas nicht möglich und in Albertville schon gar nicht. Die Kontrollen seien hier vorbildlich organisiert, Manipulationen könnten ausgeschlossen werden.

Dopingmäßig hatten die Olympiaplaner Barnier und Killy also alles im Griff, aber auch sonst kann man sich kaum beklagen über die beiden Herren — wenn man mal davon absieht, was sie so alles in die olympische Landschaft geschandelt haben. Dank ihres geradezu unverschämten Glücks mit dem Wetter funktionierte das Transportwesen vorzüglich und die meisten Veranstaltungen waren gut besucht, auch wenn Stimmung in der Regel nur aufkam, wenn Frankreich Medaillenchancen witterte. Werbung und Kommerz blieben dezent im Hintergrund, was in erster Linie daran liegt, daß es mit dem Kommerz in vielen Wintersportarten ohnehin nicht weit her ist, und auch von der vorher in düsteren Farben an die Wand gemalten Allgegenwart von Polizei und Militär war kaum etwas zu bemerken. Selbst die Befürchtung, das Olympische Dorf könnte zur Geisterstadt geraten, da die Athletinnen und Athleten an ihren verschiedenen Wettkampforten wohnen würden, traf nicht ein. Eine erkleckliche Anzahl hauste im Dorf von Brides-les-Bains, und Eisschnelläuferin Jacqueline Börner gelang es sogar, der Geschwister Duchesnay ansichtig zu werden.

Wie immer brachte Olympia nicht nur strahlende Sieger und tragische Verlierer, sondern auch ein paar Kuriositäten mit sich. Alberto Tomba zum Beispiel, der sich zwischen den beiden Slalomläufen nicht nur rasierte, sondern auch an der Piste für Unterhaltung sorgte. Nachdem er mit dem Lift hochgefahren war, sauste er kurzerhand in der Liftspur wieder runter, seine auf dem Weg nach oben befindlichen Konkurrenten als Slalomstangen benutzend. Tomba selbst ließ sich dann rückwärts zum Starthäuschen emporziehen, scherzte unterwegs mit seinen Anhängern, nahm einen kräftigen Schluck aus einer ihm gereichten Weinflasche und fuhr prompt Bestzeit im zweiten Lauf.

Dann waren da der vermaledeite Puck, der beim Penaltyschießen genau auf der kanadischen Torlinie liegenblieb und das Aus für die deutschen Eishockeyspieler bedeutete, der janusköpfige Gussen-Bob und der bedauernswerte marokkanische Riesenslalomläufer, der glorreich den eine halbe Minute vor ihm gestarteten Kollegen überholte, dann aber ein Tor verpaßte und disqualifiziert wurde. Und der Schweizer Paul Accola natürlich, der große Verlierer der Spiele, der beim Kombinationsslalom rückwärts durchs Ziel rutschte und vor lauter Gram seine Startnummer im Schnee vergrub. Accola sprach auch das Schlußwort für sein extrem erfolgloses Team. Gefragt, was ihm an Olympia am besten gefalle, antwortete er: „Daß es vorbei ist.“ Les jeux sont faites. Au revoir in Lillehammer.