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Dunkler geht's nicht

Barbara Bilabel brachte Ria Endres' „Aus deutschem Dunkel“ in Bremen zur Uraufführung  ■ Von Jürgen Francke

Vielleicht wollte die Regisseurin bloß schönes Wetter machen mit einer netten Ansprache an das Publikum. „Guten Tag“ steht da in großen Lettern auf dem Bühnenvorhang des Bremer Schauspielhauses. Die Uraufführung des Stücks Aus deutschem Dunkel von Ria Endres, die bislang nur in Darmstadt und Zürich (Acht Weltmeister, Zorn) gespielt wurde, war für Barbara Bilabel die erste Inszenierung an einem Stadttheater seit längerer Zeit.

Der rostrote Bühnenraum wird beherrscht von einem riesigen Schrank und einer Klappstuhlgruppe mit Campingtisch. Der Boden ist ein wenig nach vorn geneigt, im Hintergrund gibt ein riesiger Prospekt den Blick auf eine Gebirgslandschaft frei, wie es die Tegernseer Bauerbühne auch gern hat. Über zwei Minuten fällt auf der Bühne kein Wort, obwohl sich bereits drei Menschen, ein greises Paar und ihre Enkelin, am Tisch sitzen. „Es stinkt“, entfährt es plötzlich dem bleich geschminkten Großvater. Er holt zu einer abgehackten Tirade über die katholische Kirche und die verlogene Frömmigkeit seiner nicht minder bleichen Frau aus. Dann sackt er wieder in sich zusammen. Das Mädchen Nelly sagt kein einziges Wort in dieser ersten Szene, es wird gegängelt. Als es nicht essen will, sogar von der Großmutter zwangsgefüttert wird, schlägt es allerdings zurück. Nelly haut der lamentierenden Alten einfach einen vor den Latz.

An einem seitlich versenkten Platz sitzt die ganze Aufführung über ein Pianist am Flügel. Wenn die Großeltern streiten, deuten sie nur an, das Geschirr zerschlagen zu wollen. In Wirklichkeit nimmt der Pianist einen Hammer und zerbricht scheppernd einen Teller. Dann wuselt eine Heinzelfrau von zwergenhaftem Wuchs mit Zipfelmütze und langem, bis auf die Erde reichenden Bart hinter dem Schrank hervor und will auffegen, was de facto nicht da ist.

Die Autorin Ria Endres ist in einem katholischen Dorf aufgewachsen. Die erste Szene ihres Stücks, sagte sie in einem Interview, sei Teil ihrer Biographie. Durch die Enge und erfahrene Unterdrückung wären in ihrem Kopf kleine Gegnerschaften und Kämpfe entstanden. Später, im ebenfalls katholischen Internat, sei es ihr vorgekommen, als hätte sie ein Gefängnis gegen das andere eingetauscht. Im Internat ist ihre stille Leidenschaft für die Kunst entstanden, wie auch die Faszination, den optimalen Transport ihrer inneren Bilder in den Menschen an einem bestimmten Ort zu suchen. „Mich interessiert die Reduktion in scheinbar dürftigen Konstellationen, in einer extrem geschlossenen Gesellschaft oder in Räumen, wo es nicht weitergeht.“

Die Hamburger Regisseurin Barbara Bilabel hat das offenbar völlig mißverstanden. Auch sie hat lange Jahre in Nonnenschulen zugebracht und mußte lange Zeit kämpfen, ihren eigenen Weg, die eigene Sprache zu finden. Doch der vordergründige Eindruck, die Wege von Regisseurin und Autorin wären parallel verlaufen und hätten sich in der Ferne, nach langer Zeit, irgendwo im Raum berührt, wird durch die Bremer Inszenierung ins Gegenteil verkehrt. Als wolle Bilabel ihre Sympathie für die Hauptfigur Nelly nicht auf der reduzierten Sprache der dramatischen Vorlage beruhen lassen, reichert sie das deutsche Dunkel mit schrillem Schnick-Schnack an. Was sich in der ersten Szene andeutete, verdichtet sich in den weiteren vier Bildern zu einem inflationären Wust von comic- artigen Show-Einlagen. Offenbar von soviel katholisch-deutschen Kindheitstraumata der Autorin überwältigt, mag sie dem Text allein nicht mehr vertrauen. Cholerische Nonnen im Internat geben sich barhäuptig der Lächerlichkeit preis, der Vater im dritten Bild schwatzt faschistoide Sätze über „Deutschköpfe“ wie Albert Speer und Adolf Hitler. Darüberhinaus hält er Wettbewerbe im Röcheln ab, für die es Gummibärchen zu gewinnen gibt. Die Heinzelfrau muß — ein running gag — als verknurpeltes Nummerngirl Chansons intonieren oder sich gar als Plüsch-Eichhörnchen von „natodeutschen“ Soldaten erschießen lassen. Das Geschehen hangelt sich in grelle Musical-Sphären, wird zugekleistert von bunten Regie-Witzchen, die den szenischen Ablauf bis zur Unkenntlichkeit zerfasern. Das deutsche Dunkel der Endres nutzt hier allein noch als Sprachspiel für den Zustand des Bremer Theaters. Dunkler geht's nicht.

Im dritten Bild, in der Stadt, stürzt sich Bilabel dann abrupt zurück in die kalte, gefühllose Sprache der Endres-Vorlage. Das Bühnenbild ist durch zwei riesige Stöckelschuhe angereichert. Im Vordergrund stampfen Nelly, die ihre Sprache im Internat wiedergefunden hat, und ihre Freundin Peggy durch ein Schlammloch und hauen sich gestelzte Worte von einem imaginären Liebhaber um die Ohren. Das ganze gipfelt in einer vom Blatt abgelesenen Sprachoper, in choreographierten Sätzen ohne Inhalt, die das Publikum vollends von den Frauen-Charakteren wegführt.

Ria Endres braucht die Sprache, nicht die Bilder, sagt sie, das überläßt sie anderen. Doch eine Inszenierung, die sich gequält Mühe gibt, die Endressche Sprache mit Slapstick- Mätzchen zu entworten, muß konsequent bleiben. Bilabel hat das nicht geschafft, weil sie ängstlich wie jemand, der im Dunkeln laut singt, das Gefangensein übertönte.

Ria Endres: Aus deutschem Dunkel. Regie: Barbara Bilabel. Bühne: Bilabel, Petra Korink. Musik: Ernst Bechert. Mit Cornelia Kempers, Erla Prollius, Roland Holz, Ute Rauwald, u.a. Schauspielhaus Bremen. Nächste Vorstellungen: 26. und 27. März

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