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Berlinale 1970: Abgebrochen

■ Das Ergebnis der Krise war der Beginn des Internationalen Forums

Nein, Genugtuung verspüre er nicht, sagt Filmemacher Michael Verhoeven zu seinem Amt in der Berlinale- Jury. Grund dazu hätte er — bei der Berlinale von 1970 löste sein Film O.K. eine Krise aus, die zum Rücktritt der damaligen Jury führte. Daß er heute selbst in diesem Gremium sitzt, hätte er sich damals nicht träumen lassen.

Ende der 60er Jahre waren alle großen Filmfestivals in der Krise. 1968 sorgten nouvelle-vague-Regisseure wie Truffaut und Godard dafür, die Filmfestspiele in Cannes abgebrochen wurden, Venedig schloß fünf Jahre lang die Türen der Festspiele, und auch Berlin blieb von Reformdiskussionen nicht verschont. Zu dieser Zeit war die Berlinale „eine Art Fossil oder zumindest ein Anachronismus“, sagt der Berliner Filmhistoriker Wolfgang Jacobsen. Zuviel Glamour und Staub aus den 50er Jahren kennzeichneten die Berlinale, neue Filmrichtungen nahm sie kaum wahr. Im Jahr 1968 diskutierten unter anderem Alexander Kluge und Edgar Reitz mit Studenten in der Technischen Universität. Sie forderten Reformen — aber die Berlinale-Veranstalter reagierten nicht. Die Krise lag also in der Luft.

„Filmfestivals in der herkömmlichen Form, Jahrmärkte nationaler Eitelkeiten, das Selbstfeiern der Filmindustrie sind immer absurder geworden“, schrieb die ‘Süddeutsche Zeitung' damals. Verhoevens Film O.K. war zwar der Anlaß für den Abbruch der Berlinale, aber nicht die Ursache.

Am 1. Juli, einen Tag nachdem O.K. gelaufen war, gibt die Jury bekannt, daß sie den Film aus dem Wettbewerb zurückziehen wolle. Sie begründet ihre Entscheidung damit, daß der Film nicht der Völkerverständigung diene, was jedoch ein Auswahlkriterium für Wettbewerbsfilme sei. Die Jury setzt sich also nachträglich über die Entscheidung des Auswahlkomitees hinweg. Mitglieder der Jury bezeichnen ihn als antiamerikanisch.

Michael Verhoeven nahm den authentischen Fall einer Vietnamesin, die von US-Soldaten vergewaltigt und ermordet wurde, als Stoff für seinen Film, dessen Schauplatz er jedoch nach Bayern verlegte, „um die ferne Problematik dem deutschen Publikum näherzubringen“. Laut Michael Verhoeven hat der damalige amerikanische Jury-Präsident und Regisseur George Stevens die Jury unter Druck gesetzt mit der Drohung „entweder O.K. wird abgesetzt oder ich reise ab“. Ein deutsches Jurymitglied entschuldigt sich sogar bei Stevens, daß der Film die Bundesrepublik im Wettbewerb repräsentiere. Auf einer Pressekonferenz Tage später bestreitet Stevens, daß der Film aus politischen Gründen abgesetzt worden sei. O.K. bekommt in der Presse überwiegend positive Kritiken: „Ein notwendiger und ehrlicher Film“ schreibt die ‘BZ', und die ‘Frankfurter Rundschau' befindet: „Der Jury bleibt nur der Rücktritt“.

Die Rücktrittsforderungen werden immer lauter, die Jury wird als Zensurinstanz beschimpft, Journalisten und Teilnehmer solidarisieren sich mit Verhoeven. Die Jury windet sich. Am 5. Juli verliest der Journalist Rudolph Ganz auf einer Pressekonferenz eine Resolution, die der Jury „politische Voreingenommenheit und Irreführung der Öffentlichkeit“ vorwirft. Ein paar Stunden später tritt die Jury zurück, die Filmfestspiele sind abgebrochen. Zum ersten und — bis jetzt — einzigen Mal wird kein Goldener Bär an einen Filmemacher verliehen.

„Sehr bald wurde nicht mehr über den Film diskutiert“, erzählt der 54jährige Michael Verhoeven, sondern darüber, wie man die Berlinale reformieren könnte. „Die alte Berlinale ist überholt“, attestierte ‘Die Zeit', der Berliner ‘Telegraf' feierte die Wende: „Die Berlinale ist nicht gescheitert. Was hier geschehen ist, war ein bisher im Berliner Kulturbereich beispielloser Prozeß der Demokratisierung. Hier wurde von einem engagiertem Publikum Öffentlichkeit verlangt und auch erreicht.“ Vorschläge kamen genügend: Ein Forum des jungen Films sollte eingerichtet und auf Jury und Preisverleihung verzichtet werden. Dagegen wehrte sich jedoch die Filmindustrie.

Die einzige Neuerung der Berlinale wurde das „Internationale Forum des jungen Films“ als gleichberechtigte Parallelveranstaltung zum Wettbewerb, das 1971 begann. „Wir dachten, das Forum würde nur kurz überleben“, sagt Mitbegründer Ulrich Gregor, „wir sollten ja die gefährlichen Filme zeigen, die niemand wollte“. Mittlerweile stehen noch Forum und Panorama auf dem Programm, und die gezeigten Filme scheinen austauschbar. Ulrich Gregor, der das „Internationale Forum“ seit 21 Jahren leitet, sieht es positiv: „Das Spektrum der Filme ist viel größer geworden“. Im „Internationalen Forum“ suche er den Autorenfilm, das innovative Kino, das den Zuschauer ernst nehme. „Die Impulse der damaligen Diskussion leben weiter“, seine Erwartungen aber seien bescheidener geworden — „man kann mit dem Film nicht die Welt so verändern, wie wir damals dachten“. Corinna Emundts

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