: Wir von hier hören 91,4
■ Neuer Ostberliner Privatsender Berliner Rundfunk/ Übernahme von beliebten Sendungen vom zentralistisch gesteuerten Vorgänger
Berlin. Seit dem 1. Januar sendet der Berliner Rundfunk aus dem ehemaligen Funkhaus Berlin in privater Trägerschaft und das, wie Dr. Claudio Funke, einer der Gesellschafter meint, mit einem speziellen Anliegen: »Wir wollen vom Osten aus den Osten integrieren.« 98 Prozent der Belegschaft kommen demzufolge aus den neuen Ländern. Dafür stammt das Kapital zu 100 Prozent aus dem Westen. Über ihre ostdeutschen Töchter sind die 'FAZ‘, Dumont Schauberg sowie die Neue Medien Ulm Television zu je 25 Prozent dabei. Das restliche Anteilsviertel wird für einen zukünftigen Gesellschafter treuhänderisch gehalten. Nach Energy, Info101 und RTL ist dies nun das vierte Privatradio, das innerhalb eines halben Jahres auf den Markt drängt. Und da wird es eng. Die anvisierte Zielgruppe »Ostler ab 30« ist zwar kauflustig, aber nicht gerade kaufkräftig und wird zudem schon von Antenne Brandenburg und Hundert,6 bearbeitet. Dafür hat der Berliner Rundfunk im Vergleich zu anderen Privaten einen unschätzbaren Vorteil: Der Name ist bekannt, und das Programm wurde von durchschnittlich 50.000 Berlin-Brandenburgern gehört — zumindest im letzten Jahr, als es noch zur »Einrichtung« gehörte. Für dieses Hörerpotential hat man ein spezielles Ostformat entwickelt. Einzigartig ist der hohe Anteil von ehemaliger DDR- Musik, »von Puhdys bis Renft«. Geblieben sind auch beliebte Sendungen, Publikumsrenner wie Morgenluft, Alexanderplatz und Intercity. Ansonsten wird das Programm gerade »der Philosophie eines Privatradios entsprechend formatiert«, mit Programmuhr (die das Verhältnis von Wort/Musik und Werbung bestimmt) und computergesteuertem Musikablauf. Von anderen Bestandteilen des alten Programms hält man hingegen wenig. Man habe, so Claudio Funke, »ein ehemals zentralistisch gesteuertes Mischprogramm übernommen, das für bestimmte Zielgruppen Sendezeit zur Verfügung stellte, unabhängig von wirtschaftlichen Erwägungen«. Damit ist jetzt Schluß, das Programm wird auf Durchhörbarkeit getrimmt. Das trifft im übrigen auch auf die Programm-Mitarbeiter zu. Denen wird zur Zeit beigebracht, wie modernes Formatradio funktioniert. »Erfahrene Hörfunkexperten« veranstalten Redaktions- und Moderationstraining, geben Einführungen in die »neuen Präsentationsformen« und Studioabläufe. Und an noch etwas Neues müssen sich die Moderatoren gewöhnen: air-checks, also regelmäßige Programm- und Moderationskritik. Im kommenden Sommer bezieht der Berliner Rundfunk neue Räume in der Leipziger Straße. Als »schlichtweg unzumutbar« bezeichnet Chefredakteur Jürgen Karney die augenblicklichen Produktionsbedingungen in der Nalepastraße, wo sich der Berliner Rundfunk, die Reste von DT 64 und der Ostdeutsche Rundfunk befinden.
Zur Zeit laufen in Berlin die jährlichen Reichweitenuntersuchungen der werbetreibenden Wirtschaft. Aufgrund dieser Ergebnisse werden dann immer im September die Buchungen für das kommende Jahr getätigt. Um also vom Werbekuchen 1993 ein Stück abschneiden zu können, muß man jetzt gut abschneiden. Aus diesem Grund startet der Berliner Rundfunk mit einer breitangelegten Werbeaktion. Eine Million Postkarten gehen in Umlauf mit dem neuen Senderslogan: »Wir von hier hören 91,4«. mail
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen