: Schuld ist stets ein andres Schwein
■ Das Dresdner Kabarett »Die Herkuleskeule« ist zu Gast in Berlin
Ossis« und »Wessis«. Das Thema scheint unerschöpflich. Auch wenn die Witze inzwischen alt, die Charaktere klar, die stereotypen Muster verinnerlicht sind: Man darf nicht aufhören, den Menschen die unwürdige Lage der Nation vor Augen zu führen.
So oder ähnlich muß wohl die Meinung in der Kabarettgruppe Die Herkuleskeule gewesen sein, die in diesen Tagen bei den Berliner Wühlmäusen gastiert. Zug-Luft nennt sie ihr Programm. Untertitel: Geschichten aus dem Wartesaal Ost.
Daß Kabarettisten Politik entlarven, ist ihr Beruf. Aber wenn sie das in ausgelutschten Klischees tun und mit Witzen, die vor Jahren witzig waren und jetzt allenfalls noch Wiedererkennungswert haben, wird der Abend schnell fade. Was man den vier Kabarettisten nicht absprechen kann: Ehrgeiz. Obwohl das Programm kurz ist, wollen sie doch jedem aktuellen Thema gerecht werden — wie bei einer Checkliste werden abgehakt: Umweltprobleme, Abtreibung, Ausländerfeindlichkeit, Stasi, Umerziehung, Bürokratie, Medien, Arbeitslosigkeit und... und ... und. Der rote Faden, die Zug- Luft im Wartesaal, bleibt dabei nur ein mühsam herbeigeschaffter Rahmen. Der Zusammenhang ist in alle Winde verweht.
Ein Ossi klagt: »Wir werden ja beschissen wie früher«, worauf der Wessi sagt: »Ja sicher, aber auf einem viel höheren Niveau.« Der Ossi fleht: »Wir sind ein Volk«, der Wessi geht: »Wir auch.« Schwache Geschichten, die Wolfgang Schaller da eingefallen sind. Wenn er wenigstens mit sprachlichem Witz, Raffinesse oder Tempo ans Werk gegangen wäre. Aber das wurde erst in der Zugabe serviert, und die dauerte noch nicht einmal zwei Minuten.
Überdurchschnittlich viel Musik enthält das Programm. Nach der Pause wird sogar fast jeder Beitrag in einen Song verpackt. Was der Textverständlichkeit nicht dient. Aber eins muß man den Darstellern lassen: Singen können sie. Allen voran Birgit Schaller, die sich — zusammen mit Gloria Nowack — sogar an den Koloraturen der Höllenarie aus Mozarts Zauberflöte versucht. Auch die Männerstimmen (Manfred Breschke und Thomas Schuch) klingen gut, wenn der vierstimmige Bach-Choral angestimmt wird. Nach dem dritten Klassikerzitat ist aber auch dieses Vorgehen mehr als ausgereizt.
In den Songs (Einstudierung und Komposition: Detlef Rothe, Jens Wagner) scheinen sich die vier am wohlsten zu fühlen. Wenn Birgit Schaller von sich als der geschlagenen Frau singt, die ihren Gatten verteidigt (»er hat eben schon immer mit den Händen gearbeitet«), und wenn beide Frauen das Leben einer Prostituierten dem in der Politik vorziehen, dann tun sie das recht fetzig. Und wenn Thomas Schuch klagt: »Nun bin ich kein Opfer und kein Spitzel, was bin ich denn da noch wert?« ist das einer der lichteren Momente des Abends.
Komisch: die Abrechnung mit dem Fernsehen. Die Familie swingt im Dreivierteltakt zum Grauen in der Tagesschau. Damit »die Seele befreit« wird, läuft dann das Abendprogramm. RTL, versteht sich. Das kennt doch jeder von uns: Die Qualen, die Menschen im Fernsehen erleiden, zeigen uns Zuschauern, wie gut wir es doch haben, wie heil unsere Welt ist. Oder nicht? »Rambo, der da zynisch grient, und doch nur dem Guten dient...«. — Und sonst? Eine Anhäufung von mehr oder eher weniger originellen Statements. Der 'Spiegel‘ sei die 'Bild‘-Zeitung der Intellektuellen. Ein Wunder, daß diese Aussage noch Lacher im Publikum auslöst. Skinheads seien die wirklichen Ausländerbeauftragten und Polen die weißen Neger. Der Frieden sei im übrigen längst gefährlich geworden. Es rührt schon fast, mit welcher Überzeugung diese Plattitüden vorgetragen werden.
In einer Ankündigung der Herkuleskeule heißt es, was sie wollen, sei »professionelles Ensemble-Kabarett«. Vorerst blieb es beim Wollen. Manfred Breschke stellt lapidar fest: »Ein Volk versinkt in geistiger Umnachtung.« Man spürt, daß auch die Herkuleskeule ein Teil des Volkes ist. Sabine Lange
Die Herkuleskeule noch heute, um 20.30 Uhr, morgen und am Sonnabend schon um 19.30 Uhr im Berliner Kabarett-Theater »Die Wühlmäuse«, Nürnberger Straße 33, Tiergarten.
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