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Progrom unter Aufsicht der Polizei

Drei Skins aus Hoyerswerda wurden wegen des Überfalls auf das Flüchtlingsheim zu Bewährungsstrafen verurteilt/ Vorsitzender Richter will „politische Dimension“ des Verfahrens nicht beurteilen/ Soziale Probleme der Täter betont  ■ Von Annette Rogalla

Nach neunstündigem Verhandlungsmarathon verkündete der Vorsitzende Richter das Urteil: Haftstrafen für alle drei Angeklagten von 18 Monaten, zur Bewährung ausgesetzt auf drei Jahre.

Keine überschäumende Freude bei den Verurteilten. Heiko W., Karsten P. und Hans-Michael P. aus Hoyerswerda nahmen das Urteil gelassen entgegen. Die drei Männer, zwischen 22 und 28 Jahre alt, hatten im vergangenen Herbst das Pogrom von Hoyerswerda mitinitiiert.

Der 17.September 1991 fing für jeden der drei so normal wie jeder Dienstag an. Früh um neun fährt Skinhead Hans-Michael P. mit seinem Freund Ahli auf eine Baustelle zum Malern. Es ist der letzte Tage eines Gelegenheitsjobs. Von der Löhnung wollen die beiden abends den anderen Skins in Hoyerswerda einen ausgeben. „Was Großes sollte es sein“, sagte P., „denn anderntags wollten wir nach Hamburg fahren.“

Ahli, der Chef der Skinheads von Hoyerswerda, und sein Kumpel haben bis mittags bereits eine Flasche Whiskey ausgetrunken. Als sie gegen eins mit den Malerarbeiten fertig sind, fahren sie zurück nach Hoyerswerda. Auf dem Lausitzer Platz treffen sie ihre Freunde. Mit von der Partie ist auch Heiko W. Auch er hat bereits einige Büchsen Bier und Schnaps intus. Es ist gegen zwei Uhr, als sie auf die Idee kommen, einem vietnamesischen Straßenhändler die Tageskasse zu klauen. Das tun sie häufiger. Vom geklauten Geld kaufen sie an einer Frittenbude Currywürste.

Für ihren Überfall suchen sich die Skins einen Zigarettenhändler. Doch der Mann wehrt sich und läuft ihnen hinterher; andere vietnamesische Händler schließen sich an. Es kommt zu einem Gerangel. Dabei verliert Hans Michael P. seinen Rottweilerhund. Er sucht ihn. In der Verhandlung sagt P. er hänge an dem Tier wie an einem Menschen. „Seit meine Frau mich verlassen hat, ist er mein zuverlässigster Freund geworden“, sagt er. „Schließlich kann ein Hund mich nicht betrügen.“ Die beiden männlichen Schöffen schmunzeln, und Richter Jockers nickt.

Schon wenige Minuten nach dem Überfall macht bei den Skins das Gerücht die Runde, der Hund sei von Vietnamesen getötet worden. „Wir sind spontan auf die Idee gekommen, in die Albert-Schweitzer-Straße zu ziehen“, sagt Heiko W. Allerdings ist sich die rund zwölfköpfige Gruppe, so stellt sich während der Verhandlung heraus, schon seit längerem einig, daß „denen im Ausländerwohnheim mal gezeigt werden muß, daß wir sie nicht wollen“. Sattsam bekannte Klischees werden aufgezählt, von den schwarzen Männern, die den weißen Frauen hinterhersteigen und den weißen Artgenossen die Arbeit nehmen.

Auch die drei Angeklagten sind arbeitslos. Bei der Verhandlungsführung legt der Vorsitzende Richter Jockers besonderen Wert darauf, daß sie ihr Schicksal ausführlich ausbreiten. W. war im Heim für Schwererziehbare, auch P. wuchs „ohne menschliche Zuneigung auf“, wie Staatsanwalt Reinhard Schade, 32, später bei seinem Plädoyer mit weit rudernden Armen zugute halten wird. Nur Karsten P. hat keine sozialen Probleme gekannt.

In der Albert-Schweitzer-Straße angekommen, rufen die Skins zunächst rassistische Sprüche. Als sich erste Schaulustige zu ihnen gesellen, fliegen Steine in Richtung Ausländerwohnheim. Daß die Abfolge so gewesen ist, bestätigt ein Polizeibeamter, der die Gruppe bereits seit den Mittagsstunden auf dem Lausitzer Platz beobachtet hat. Sogar auf ihrem Weg von der Innenstand wurden die Skins von zwei Polizeifahrzeugen begleitet. Aber die Besatzungen der beiden Funkstreifen griffen nicht ein. An diesem Punkt faßt der Richter aus dem Westen nicht nach. Im Gegenteil. Obgleich alle fünf an seinerzeit diensthabenden Beamten geladen waren, wurde nach zwei Zeugenaussagen auf die Aussagen der anderen verzichtet.

Schnell sammelt sich vor dem Ausländerwohnheim eine Menschenmenge an, 100, 150 Schaulustige mögen es gewesen sein. Die Polizisten rufen nach Verstärkung, die erst vier Stunden später eintrifft. In der Zwischenzeit ist die Situation vor dem Ausländerwohnheim bereits eskaliert. Die Fenster des Hauses sind zertrümmert, was die Skins von unten durch die Fensterlöcher werfen, kommt postwendend zurück, zusätzlich Tische und Stühle.

Übles, von der brutalsten Art, sei da passiert, so Richter Jockers in seiner Urteilsbegründung. „Trotzdem haben wir nicht die politischen Dimension des Verfahrens zu beurteilen“, sagt er. Zugute hält er den dreien, daß sie zur Tatzeit ziemlich viel Alkohol im Blut gehabt haben müssen. Denn auch während der Aktion wurde weiter Schnaps getrunken. Wieviel Promille die Angeklagten im Blut hatten, konnte nicht festgestellt werden. Obgleich sie bei ihrer Verhaftung nach Alkohol rochen, ordneten die Polizisten keine Blutentnahme an. Der Gerichtsmediziner mußte den Alkoholspiegel anhand der Aussagen im Prozeß mathematisch konstruieren. Er errechnete Werte, die zwischen „gut angetrunken und Koma“ liegen: alle drei hätten wohl gut und gerne drei Promille gehabt. Aufgrund der Schwere des Falles wurden die drei Skins zu 18 Monaten verurteilt. Wegen ihrer Untersuchungshaft von fast sechs Monaten wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt und mit der Auflage verknüpft, 120 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. Die Angeklagten entschuldigten sich nicht für ihre Tat. „War echt blöd, daß wir geprügelt haben“, sagt Karsten P. lapidar

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