Mehr Wunsch als Wirklichkeit

■ Bei einer UNO-Tagung zur Rüstungskonversion wurden gestern in Dortmund nur wenige konkrete Projekte vorgestellt. Ansonsten blieb es bei einer Vielzahl von Empfehlungen. Die drastische Verringerung ...

Mehr Wunsch als Wirklichkeit Bei einer UNO-Tagung zur Rüstungskonversion wurden gestern in Dortmund nur wenige konkrete Projekte vorgestellt. Ansonsten blieb es bei einer Vielzahl von Empfehlungen. Die drastische Verringerung der Militärausgaben schafft erst einmal mehr Probleme als der Status quo. Auch die Friedensdividende erweist sich als Illusion: die Dritte Welt wartet vergeblich auf eingesparte Gelder.

AUS DORTMUND WALTER JACOBS

Rund 1.000 Milliarden Dollar verschlingen die Militärapparate weltweit jedes Jahr. Träume und Szenarios, wie dieses Kapital alternativ zum Wohle der Menschheit eingesetzt werden könnte, gibt es viele. Nicht nur die Friedensbewegung hat sie wieder und wieder vergeblich hinausgeschrien. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau bereicherte bei der Eröffnung der UNO-Konferenz zur Konversion die wohlfeilen Berechnungen am Montag um eine neue Variante: Die Summe, die in fünf Tagen im Jahr für Rüstung ausgegeben werde, würde ausreichen, „um für die Bevölkerung der Dritten Welt die sanitäre Versorgung und sauberes Wasser sicherzustellen“. Werden solche Träume jetzt wahr? Wird die Konversion, also die Umwandlung von Militärapparaten und Rüstungsindustrie neue „Chancen für Entwicklung und Umwelt“ eröffnen, wie das Motto der UNO-Konferenz suggeriert?

Tatsächlich sind die Militärhaushalte der beiden Supermächte inzwischen geschmolzen, doch von der „Friedensdividende“ kam in den Entwicklungsländern bisher nichts an. Jahrelang sei die mangelnde Hilfe der Industrieländer mit den Kosten des kalten Krieges begründet worden, so ein Delegierter aus Ghana. Jetzt sei der vorbei und schon gebe es erneut wieder nur Vertröstungen. Der Inder Dr. Muni Anandakrishnan, Vizekanzler der Anna- Universität in Madras, gab sich ebenfalls pessimistisch: „Ich erwarte nicht, daß wir von der Friedensdividende etwas abbekommen“. Eingesparte Mittel würden die Industrieländer zu allererst im eigenen Land einsetzen. Gleichwohl seien die Signale der Abrüstung auch für eine Umkehr in den Entwicklungsländern bedeutsam. Derzeit spiele die Konversion in den Ländern der Dritten Welt indes keine Rolle. Im Gegenteil, „wir bauen unser militärisches Potential ja noch auf“, sagte Anandakrishnan.

Für den früheren Generalleutnant der pakistanischen Armee und jetzigen Leiter des Instituts für strategische Studien in Islamabad, Syed Zakir Ali Zaidi, kommt die Konversionsdiskussion für Zentralasien ohnehin zu früh. Zunächst einmal sei in dieser Region eine Politik der Entspannung erforderlich, die friedliche, nachbarschaftliche Beziehungen in Zentralasien, beispielsweise zwischen Indien und Pakistan, vertraglich fixiere. Eine solche Politik eröffne dann auch Chancen, die Verteidigungshaushalte zu reduzieren.

Daß die drastische Reduzierung der Militärausgaben zunächst einmal mehr Probleme macht als der Status quo, wurde in Dortmund in vielen Referaten angesprochen. Ein Berater des russischen Präsidenten Jelzin sprach davon, daß der Umbau der ehemals sowjetischen Rüstungsindustrie möglicherweise 150 Milliarden Dollar kosten werde. Daß bei den ökonomischen Problemen in den ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts noch eine „Friedensdividende“ für die ärmsten Länder dieser Welt abfallen könnte, ist so gut wie ausgeschlossen. Nach den Worten des Hamburger Friedensforschers H.-J. Gießmann, beschäftigte die sowjetische Rüstungsindustrie etwa acht Millionen Menschen. Die Hälfte des verarbeitenden Gewerbes produzierte nichts als Waffen und ein Drittel der Devisenerlöse erwirtschaftete die Sowjetunion ausschließlich durch den Rüstungsexport. Daß Konversion die Nachfolgestaaten der Sowjetunion vor ungleich größere Probleme stellt als die westlichen Lander, wird deutlich, wenn man die entsprechenden Zahlen aus den USA heranzieht. In der amerikanischen Rüstungsindustie, die am Exporterlös des Landes mit nur einem Prozent beteiligt ist, arbeiten 3,2 Millionen Menschen. 5 Prozent des verarbeitenden Gewerbes produziert Militärgerät. Insgesamt ist die Abhängigkeit vom militärischen Sektor zwar ungleich geringer, die amerikanischen Rüstungskonzerne reagieren jedoch auf wegfallende Aufträge umgehend mit Entlassungen. Der amerikanische Konversionsexperte Prof. S. Melman stellte fest, die Manager der amerikanischen Rüstungskonzerne seien ohne Fortbildung zur Konversion unfähig: „Die schließen einfach die Betriebe.“

Von Ausnahmen abgesehen, sieht es auch in der Bundesrepublik nicht viel anders aus. Philipp Appelt, Betriebsratsvorsitzender eines Rüstungsbetriebes in Köln, schilderte am Mittwoch abend anschaulich den vergeblichen Kampf um Konversion in „seinem“ Betrieb. Appelt, seit 1986 Mitglied im Arbeitskreis „Alternative Produktion“ der IG Metall sprach auf einer Veranstaltung der Dortmunder Friedensinitiativen, die als „kritische Begleitkonferenz“ zur UNO-Tagung gedacht war. Alle Vorschläge zur Umstellung auf zivile Produkte seien bis 1989 regelmäßig vom Management zurückgewiesen worden. „Erst seit 1989 gibt es ein Umdenken.“ Seither würden 10 Prozent des Umsatzes mit zivilen Produkten erzielt. Letztlich sei die Umstellung viel zu spät erfolgt, denn von den Anfang 1990 noch 1.010 Beschäftigten seien gerade noch 530 übrig geblieben. „Fatalismus macht sich breit“, so Appelt.

Solche Stimmen aus der Praxis waren bei der vorwiegend von Diplomaten und Wissenschaftlern besuchten Konferenz selbst kaum zu hören. Die mangelnde Beteiligung der Entscheidungsträger aus Politik, Gewerkschaft und Wirtschaft habe dazu geführt, daß zuwenig Realpolitik in Dortmund getrieben worden sei, hieß es bei Konferenzteilnehmern. Es sei in erster Linie ein Treffen der „UNO-Familie“ gewesen, die wenig Raum für praktische Diskussionen geboten habe, kritisierte etwa der Konversionsexperte der Bonner SPD-Fraktion, Eckhard Fischer.

Mit einer Vielzahl von „Empfehlungen“ ging die Konferenz gestern nachmittag zu Ende. Die etwa 200 Teilnehmer aus 40 Nationen fordern in einer „Dortmunder Deklaration“ die Staatengemeinschaft auf, sich der Konversion mit Nachdruck zu widmen und auf weitere Konferenzen einzelne Aspekte, z.B. die Luft- und Raumfahrtkonversion, gezielt zu behandeln. Die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Anke Brunn, die die Konferenz mitorganisiert und mitfinanziert hatte, berichtete zum Abschluß, daß während der Tagung schon „zahlreiche Projekte“ vereinbart worden seien. Die Landesregierung selbst werde in Minsk ein Konversionsprojekt zum Bau von Umweltinformationssystemen unterstützen. Die größte Panzerfabrik Rußlands, die Kirovwerke in der Region St. Petersburg, werde demnächst mit einer „Strukturhilfe in Höhe von 35 Millionen Mark“ auf die Produktion von Autobussen umstellen. Beteiligt an dem Projekt sei die Daimler-Benz AG.

Ob die Anwesenheit von weiteren Politikern mehr Ergebnisse gebracht hätte, darf gewiß bezweifelt werden. Nimmt man die Aussagen des Bonner Umweltministers Klaus Töpfer (CDU) als Anhaltspunkt, dann war die weitgehende Abwesenheit der Politprofis eher ein Segen. Zu dem eigentlichen Versagen der deutschen Politik im Rüstungsbereich kam von Töpfer nur beredtes Schweigen. Kohls Abgesandter schwadronierte in großen Worten von der „Bewältigung der geistigen Konversion“ ohne auch nur mit einem Wort die Kontinuität des Aufrüstens, symbolisiert durch das Festhalten am Jäger 90, zu streifen.