: Defizite in den Gehirnwindungen
Beim 1:1 gegen Dynamo Dresden mußte VfB-Trainer Christoph Daum erfahren, daß seine Stuttgarter noch immer nichts kapiert haben/ Nur Matthias Sammer war eine Halbzeit lang brav ■ Aus Stuttgart Peter Unfried
Kurzgeschorene Buben spazierten mit blonden Damen an den Händen, Jeansjacken spielten auf der Mercedesstraße, die Bierbecher in der Linken, mit einem Tennisball, Faschingsgarden stiefelten aufgeregt Richtung Tartanbahn, am VfB- Vereinsheim brutzelten die Roten gemütlich vor sich hin und neben dem Stadion hüpften Leichtathletinnen trainingshalber einen Hartplatz rauf und wieder runter. Auch die gute Sonne schien wie zu ihren besten Tagen und Südmilch-Tippkönig Töpperwien hatte ein beruhigendes 2:0 (Halbzeit: 1:0) prognostiziert. Kurzum: es versprach ein herrlicher Vorfrühlingsnachmittag zu werden.
Zwei Stunden später war die Sonne schon längst entschwunden und Christoph Daum war's „zum Heulen“. Wie gerüchteweise zu hören war, hatte er diese Woche die VfB-Spieler Papiere unterschreiben lassen, deren Inhalt der Satz „Ich hab's kapiert!“ war: Die Dokumente erwiesen sich als so viel wert wie ein Vertrag mit Andreas Möller. Und drum war der ehrgeizmetastasenzerfressene Fußballehrer richtig sauer. Klagte darüber, daß der VfB sich immer wieder selbst ein Bein stelle, konstatierte unverständliche Lethargie im Spiel seiner Recken und vermißte (geistige) Aufnahmefähigkeit: „Immer, wenn man meint, man hat's kapiert, muß man feststellen, wir sind noch nicht so weit.“ Dies alles selbstverständlich, „ohne die hervorragende Leistung der Dresdner schmälern zu wollen.“
Doch genau da lag der Grund für Daums Ärger: Die Dresdner waren ein Gegner, den selbst Spieler, die nun wirklich sonst nichts abraffen, hätten schlagen müssen. Die „spielten“, so man das Wort benutzen will, wie Manchester City in seiner Horrorsaison 87/88 in der 2. Division: Für Kreatives und Chancenvorbereitung war der Torwart zuständig, in diesem Fall René Müller, der seine Stürmer Jähnig und Rösler mittels Abschlägen losjagte. Der Rest hatte Wichtigeres zu tun, zum Beispiel die Bälle so in der Gegend herumzuschießen, daß sogar der Junge von der 'FuWo‘, der nun bestimmt einiges gewöhnt sein mag, aus dem Kopfschütteln nicht mehr herauskam.
„Relativ harmlos“ nannte das, was der einstige Renommierclub des Ostens da verbrach, der VfB-Manager Dieter Hoeneß und vermutete, daß die Seinen es einfach nicht für möglich gehalten hätten, daß jene überhaupt in der Lage wären, ein Tor zu erzielen. Auch der früher selbst als Kopfarbeiter bekannte Hoeneß diagnostizierte dem VfB Defizite in den Gehirnwindungen: „das Engagement war da, behauptete er, „nur war es kopflos.“
Womit wir beim Lieblingsthema der Lokalpresse wären, beim Kopf der Mannschaft, bei Matthias Sammer. „Matthias ist schon ein spielentscheidender Mann“, sagt Christoph Daum“, und das war auch diesmal so, denn Sammer war es, der den Ball beim einzigen Schwabentor so auf den Fuß vom Guido Buchwald gelegt hatte, daß der zwar den Ball nicht recht, aber ins Tor treffen konnte. Sammer war es auch, der in der letzten Minute doch noch fast den Sieg möglich gemacht hätte, als er sich gegen vier Dresdner durchwurstelte, dann Kögl den Ball in die Mitte kögelte, aber der kleine Fritz Walter dort das zu tun verweigerte, für was er bezahlt wird. Genau das ist das Problem: Mögen Gaudino und Kögl noch so lustig mit dem Ball wirbeln, Tore fallen in Stuttgart (fast) ausschließlich, wenn dem Rotblonden was einfällt.
Was in Halbzeit eins der Fall war, nach dem Wechsel nicht mehr, als der zähe Zander ihn „mit zunehmender Spieldauer immer besser in den Griff bekam“ (Daum). Fällt Sammer aus, wird man den Verdacht nicht los, der VfB habe einen Spitzenmann, aber keine Spitzenmannschaft, in der Diktion der Haupttribünenbesucher: „Gaudino a Null, Fritze a totale Null, Sammer a bißle was.“ Das Bißle reichte dann eben nicht, „auch nicht gegen Dresden“, wie der VfB-Manager merken mußte.
Am Ende drohte Daum, künftig werde „ein etwas anderer Ton angeschlagen“, der kantige Hoeneß nickte grimmig und Töpperwien tat, als ginge ihn sein falscher Tip nichts mehr an. Nur zwei strahlten: Der Experte der Kopfarbeiterpostille 'Super‘, weil er als einziger das Ergebnis gewußt hatte, und Dresdens Trainer Helmut Schulte. „Kompliment! Gekämpft wie Löwen, cleveren Konterfußball gespielt“, gurgelte der, grinste, klopfte seinem Manager Dieter Müller auf die Schultern und schritt beschwingt von dannen. Es war aber auch ein besonders schöner Vorfrühlingstag.
Dynamo Dresden: Müller - Mauksch - Schößler, Melzig - Scholz, Büttner, Pilz, Kmetsch, Zander - Rösler (89. Wagenhaus), Jähnig
Zuschauer: 22.000; Tore: 1:0 Buchwald (20.), 1:1 Zander (51.)
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