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Bosniaken gehen getrennte Wege

Volksabstimmung über die Unabhängigkeit entzweit die Volksgruppen noch mehr/ Während in Banja Luka Kroaten und Muslimanen zur Wahl gehen, demonstrieren die Serben gegen alle  ■ Aus Banja Luka R. Hofwiler

Die Volksgruppen in Bosnien-Herzegowina gingen sich gestern buchstäblich aus dem Weg. Auch in Banja Luka besuchten lediglich die Kroaten und Muslimanen die Wahllokale. Die serbische Bevölkerungsmehrheit der Stadt strömte dagegen auf den Marktplatz, um für eine eigene Republik zu demonstrieren. In Banja Luka verlief am Wochenende das Referendum für die Unabhängigkeit Bosniens oder den Verbleib in einem serbisch dominierten Jugoslawien streng nach den Regeln einer nationalen Volkszählung. Man geriet sich nicht in die Haare, abgesehen von einem einzigen Zwischenfall in einem Vorstadtbezirk, als militante Serben die Fensterscheiben eines Wahlbüros zertrümmerten.

Zur Feier des Tages erklangen die Gebetsgesänge vom Minarett der Ferhard-Pascha-Moschee. Der Muezzin kletterte stündlich auf den schlanken Turm in 42 Meter Höhe, um im Namen Allahs Beistand zu erbitten. Zwar verstand man von seinem Gesang nur wenig, da die Lautsprecher diesmal ausgeschaltet blieben, aber die Gläubigen wußten auch so, daß die Gebete ein unabhängiges Bosnien erklärten. Mehmed Buhic, Journalist beim Wochenblatt 'Muslimanski glas‘: „Es ist ein offenes Geheimnis, die serbischen Politiker dieser Stadt wollen uns vertreiben, selbst vor einem Genozid scheinen sie nicht zurückzuschrecken. Schon haben die Serben hier alles in der Hand.“ Ein Drittel der 150.000 Einwohner Banja Lukas seien Muslimanen, ein Fünftel Kroaten, die Mehrheit Serben. Und dennoch, im Redaktionsstab des lokalen Radio- und Fernsehsenders sei kein einziger Muslimane, nur Serben, im Gemeinderat von 130 Mitgliedern nur 13 Muslimanen, in den staatlichen Großfirmen kein Muslimane Direktor. Und dann die Zwischenfälle: Schändung des islamischen Friedhofs mit Schweinefleischbrocken, Bombenanschläge auf Wohnhäuser von gläubigen Moslems und wenige Tage vor dem Referendum der Sprengstoffanschlag auf die Pascha- Moschee, eines der schönsten Beispiele islamischer Kunst auf dem Balkan, über Jahrhunderte Wahrzeichen von Banja Luka. Buhic wiederholt: „Das ist eine Politik des Genozids.“

Man wundert sich, wie leicht ihm dieses Wort über die Lippen kommt. Aber damit steht er nicht allein. Wenige Straßenzüge weiter befand sich eine Menge aufgebrachter Serben. Sie halten vor dem ehemaligen kommunistischen Kulturzentrum eine Dauerdemonstration ab. „Serben, schützt euch vor dem drohenden Genozid“, „Kampf dem kroatischen Ustascha-Faschismus“, „Hier ist Serbien — Kampf dem Islam“, „Es lebe die freie Serbische Republik Bosnien“, „Es lebe die bosnische Serbenrepublik Krajina“. Und dann ihr Sprecher Radoslav Vukic: „Die Moslems rüsten zum Dschihad (Heiligen Krieg), die Kroaten zum Genozid an uns Serben — laßt uns zusammenstehen, unsere Heimat zu retten.“ Radovan Karadzic, Chef der bosnischen „Serbischen Demokratischen Partei“, der aus der Hauptstadt Sarajevo herbeigeeilt war, versuchte die Gemüter zu beruhigen. „Wir dürfen es nicht zulassen, daß überall im Lande serbische Fürstentümer entstehen“, mahnte Karadzic, „das schadet der serbischen Sache.“ Der Fall des Präsidenten Milan Babic aus der „Autonomen serbischen Republik Krajina“ habe doch gezeigt, wieviel Schaden es anrichte, wenn das „serbische Volk nicht an einem Strang zieht“. Babic habe Serbien in Europa und vor der UNO mit seiner ablehnenden Haltung zur Entsendung von Blauhelmen diskreditiert. „Seid Realisten und vertraut uns“, rief der Serbenführer seinen Landsleuten zu, „Bosnien wird ein konföderativer Staat werden, und wo wir Serben leben, herrscht fortan nur noch das serbische Gesetz.“ Um dies zu unterstreichen, blieben Karadzic und seine engsten Mitstreiter über das ganze Wochenende in Banja Luka, um hinter verschlossenen Türen im Kulturhaus Details auszuarbeiten, wie Banja Luka Hauptstadt eines neuen „serbischen Kantons“ werden könnte.

Das lokale serbische Wochenblatt 'Glas‘ druckte bereits neue Landkarten von Bosnien ab, in denen 60 Prozent des Territoriums als Teil „serbischer Kantone“ ausgegeben werden. Dies sei so vergangene Woche in Lissabon bei einem Treffen aller drei Volksgruppen unter EG-Vorsitz beschlossen worden, suggeriert das Blatt.

Das ist eine Darstellung, gegen die sich in Banja Luka der Spitzenpolitiker der Partei der „Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft“, Ivica Bijelic, verwehrt. Über die Größe der Kantone sei noch gar nicht verhandelt worden, es könne aber keinenfalls angehen, daß die 31 Prozent Serben der Republik Bosnien weit mehr als die Hälfte des Territoriums für sich beanspruchen könnten. Auch die Muslimanen würden versuchen, mit der Waffe in der Hand große Kantone für sich durchzusetzen. Für die Kroaten bliebe dann nichts mehr übrig, wenn sie nicht eine eigenständige Politik verfolgen würden. Die kroatische Volksgruppe könne sich nicht auf Gedeih und Verderb mit der muslimanischen verbinden. Mit den Moslems zusammenzugehen, wäre nur eine Taktik gewesen, „um den hegemonistischen Serben“ eins auszuwischen. Aber real sei ein Jugoslawien im kleinen, ein Vielvölkerstaat Bosnien nicht lebensfähig. Er wende sich nicht prinzipiell gegen die Aufteilung des Landes in Kantone, aber hier hätte das schreckliche Konsequenzen für die Kroaten. „Ich kann ihnen nur eines sagen, hier in Banja Luka haben wir Kroaten als Minderheit keine Chance zu überleben, wir müssen auswandern. Und dann werden Sie sehen, dann schlagen sich die Muslimanen und Serben ihre Köpfe ein.“

Bis Sonntag nachmittag gaben im Großraum Banja Luka von 135.632 Wahlberechtigten lediglich 35.000 Wähler ihre Stimme ab.

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