: DER BOCK, DER GÄRTNER UND EIN KUNSTSCHATZ VON RALF SOTSCHECK
Den Bock zum Gärtner machen“ — dieses Sprichwort ist in Irland unbekannt, obwohl die Iren es geradezu erfunden haben könnten. Neuestes Beispiel dafür ist die Chester Beatty Library in Dublin. Diese Bibliothek verfügt über eine der wertvollsten Sammlungen orientalischer Manuskripte der Welt, die der US-Kupferkönig Alfred Chester Beatty im Laufe seines langen Lebens angehäuft hatte. Er vermachte die Schätze der Republik Irland und unterstellte sie einem unabhängigen Stiftungsrat.
Beatty glaubte, daß die unbezahlbaren Stücke im Falle eines Krieges in Irland am besten aufgehoben seien, weil sich niemand die Mühe machen würde, die Grüne Insel anzugreifen. Der Kupferkönig hatte nicht damit gerechnet, daß die Iren gar keines Krieges bedurften, um seine Sammlung zu ruinieren. Das haben schon die chinesischen Terracotta- Krieger am eigenen Leib erfahren müssen. Die tönerne Armee war unbeschadet um die ganze Welt gereist. In Irland fiel ihr die Decke auf den Kopf. Verluste: ein Bataillon.
Als Beatty 1968 im Alter von 93 Jahren starb, suchte der Stiftungsrat einen Kurator für die islamische Sammlung. Er fand ihn in David James. Der Wissenschaftler machte sich alsbald international einen Namen. Er reiste um die Welt, traf Berühmtheiten wie König Hussein von Jordanien, deren Fotos er sich ins Badezimmer hängte, und schrieb zwölf Jahre lang an seiner Doktorarbeit — alles auf Kosten der Bibliothek, die ihm nach seiner Promotion obendrein das Gehalt erhöhte. Nur mit der Katalogisierung der islamischen Schätze kam er nicht so recht voran, so daß die Liste auch nach 24 Jahren noch große Lücken aufweist.
Die Sammlung allerdings auch, wie sich jetzt herausstellte: James hatte sie hemmungslos geplündert und die Manuskripte auf dem internationalen Kunstmarkt verhökert. Da es keinen kompletten Katalog gibt, weiß James als einziger, was fehlt. Ein Alptraum für die Ermittler, die darauf angewiesen sind, daß der Dieb ihnen erzählt, was er eigentlich geklaut hat. Sein Motiv ist einleuchtend: James hatte jahrelang kostenlos in dem Haus gewohnt, das dem Direktor des Stiftungsrats zustand. Doch erst Wilfrid Lockwood, der 1983 zum Direktor ernannt wurde, zog in das Haus auch ein. James mußte sich nun selbst ein Haus kaufen, und dafür brauchte er Geld.
Als ehemaliger britischer Geheimdienstler wollte Lockwood neue Sicherheitsmaßnahmen in der Bibliothek einführen. Er hatte allen Grund, mißtrauisch zu sein. Das wertvollste Stück der Sammlung, eine biblische Papyrusrolle aus dem 4. Jahrhundert, fand man 1985 im Heizungskeller, ein seit Jahren verschwundenes japanisches Manuskript war zwischen zwei Regalen eingeklemmt. Doch Lockwoods Maßnahmen stießen auf den Widerstand der Belegschaft, allen voran David James. 1990 warf Lockwood das Handtuch und kündigte.
James flog auf, als er dem New Yorker Metropolitan Museum of Art über einen Londoner Kunsthändler zwei Seiten aus einem tausend Jahre alten Koran anbot. Das Museum schaltete zufällig eine Expertin ein, die sich ausgerechnet als Kennerin der Beatty-Sammlung erwies. James wurde im September vergangenen Jahres auf dem Dubliner Flughafen verhaftet und vor zwei Wochen angeklagt. Er war damals aus dem unbezahlten Urlaub nach Dublin zurückgekehrt, um sich für einen Job zu bewerben: als Direktor des Stiftungsrats der Chester Beatty Library.
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