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Selbstbedienungsladen Uni

■ Eine private Akademie arbeitet in den Räumen der FU und TU und mit den regulären Uni-Professoren als Dozenten — FDP-Politiker will Vorgang klären

Charlottenburg. Ab nächste Woche finden in der Technischen Universität Lehrveranstaltungen statt, die nicht zum universitären Programm gehören. Eine »Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie Berlin« GmbH bietet ein berufsbegleitendes Studium an. Die Lehre wird von ProfessorInnen der Technischen und der Freien Universität sowie von Praktikern bestritten. Das auf sechs Semester angelegte Abendstudium kostet je nach Abschluß rund 7.000 DM oder über 14.000 DM und führt zu einem »Wirtschafts-Diplom«.

Das Wirtschaftsstudium an der Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie (VWA) dauert drei Jahre und richtet sich an berufstätige Kaufleute. Es ist wie ein normales Studium in Semester unterteilt und findet an zwei bis drei Abenden pro Woche in der Technischen Universität statt. Angeboten werden zwei Abschlüsse: »Wirtschafts-Diplom Betriebswirt (VWA)« und »Wirtschafts-Diplom Informatik-Betriebswirt (VWA)«. Was leicht verwechselt werden kann: Beim universitären Wirtschaftsstudium wird der akademische Grad »Diplom-Betriebswirt« vergeben, der Abschluß an der Fachhochschule wird mit einem entsprechenden Hinweis versehen: »Diplom-Betriebswirt (FH)«.

Die Zugangsvoraussetzungen sind nach Auskunft des Geschäftsführers der VWA, Harald Beschorner, mittlere Reife, eine kaufmännische Lehre und ein Jahr Berufspraxis. Eine Auswahl nach Notendurchschnitt erfolge nicht. Das Studium kann vom Arbeitsamt als Weiterbildungsmaßnahme gefördert werden.

Die VWA zahlt für die Nutzung der universitären Hörsäle Miete und honoriert die ProfessorInnen für ihre Lehrtätigkeit. Über die Höhe des Honorars machte Beschorner keine Angaben. Merkwürdigkeiten sind auch an derer Stelle zu bemerken: Die VWA wirbt in ihrem Prospekt für »Wissenschaftliche Studiengänge auf Universitätsniveau« und führt in einer umfänglichen Liste elf Berliner Universitätsprofessoren als Dozenten, darunter Wolfgang Cezanne (TU) als Studienleiter und FU- Präsident Johann Wilhelm Gerlach. Auf Nachfrage der taz verneinten sechs von ihnen, für die Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie zu lehren; sie seien lediglich angefragt worden.

Wer als Dozent arbeitet, bleibt unklar

Gesellschafterin der Berliner VWA ist die gleichnamige »Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie Essen«, die eine Einrichtung der Arbeitgeberverbände und der Industrie- und Handelskammer ist. Die VWA, die es laut Harald Beschorner in 45 weiteren Städten der Bundesrepublik Deutschland gibt, solle kein Ersatz für Universitäten oder Fachhochschulen sein. Das Land Baden-Württemberg hat das duale Bildungsmodell der VWA, die es seit 1907 gibt, adaptiert und »Berufsakademien« gebildet. Der jetzige Berliner Wissenschaftssenator Manfred Erhardt gilt als der »Vater« der Berufsakademien, an denen fünf Prozent der Studierenden des südwestdeutschen Bundeslandes eingeschrieben sind. In dem nächste Woche beginnenden, ersten Studiengang der VWA in Berlin sind 120 StudentInnen eingeschrieben.

In einer Kleinen Anfrage will der FDP-Abgeordnete Michael Tolksdorf nun wissen, wie sich die Nebentätigkeit von Universitätsdozenten mit den Klagen über die »unerträgliche Überbelastung« akademischer Lehrer vereinbart. Tolksdorf, der Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung ist, fragt, ob das Kuratorium der TU zugestimmt hat, »daß eine GmbH ihren Lehrbetrieb ausschließlich in der TU durchführt?«

An der TU selbst herrscht bislang weitgehend Unkenntnis über die neue Mieterin. Geschäftsleiter Harald Beschorner erklärte, er stehe mit dem Kanzler in Verhandlungen über eine Kooperationsvereinbarung. Der dritte Vizepräsident, Wolfgang Neef, sagte zu der möglichen zusätzlichen Lehrbelastung von Universitätsprofessoren, er sehe es nicht gerne, wenn »Arbeitskapazitäten« verlorengehen. »Solche Geschichten werden auf dem Rücken des Mittelbaus ausgetragen«, meinte Neef, der selbst wissenschaftlicher Mitarbeiter ist. cif

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