: Die Angst des »Untermieters« vor dem »blauen Brief«
■ Weil die Fachhochschule für Wirtschaft mit ihren Studentenzahlen aus allen Nähten platzt, droht dem »Untermieter« Berlin-Kolleg die Verdrängung/ Kompetenzgerangel zwischen dem Bezirk Schöneberg und dem Senat erschwert die Suche nach einer Lösung/ Neuer Abitur-Kurs hat keine Räume
Schöneberg. Das Berlin-Kolleg weiß nicht, in welchen Räumen es zwei bereits angemeldete Klassen von SchülerInnen des zweiten Bildungsweges auf das Abitur vorbereiten soll. Das im Hause der Fachhochschule für Wirtschaft (FHW) in der Badenschen Straße untergebrachte Kolleg kämpft mit dem »Hausherrn« akut um zwei Klassenräume, die ab dem kommenden August nicht mehr zur Verfügung stehen sollen. Der eigentliche Streit findet aber zwischen dem Bezirk und der Senatsschulverwaltung statt. Schönebergs Volksbildungsstadträtin Karla Werkentin von der Alternativen Liste steht kurz davor, »Unterricht im U-Bahn- Schacht« anzuordnen oder mit den SchülerInnen ein Haus zu besetzen. Derweil pocht man im Schulsenat auf die formale Zuständigkeit des Bezirksschulamts. »Ich bin persönlich skeptisch«, sagte ein Beamter des Schulsenats, »warum es nicht möglich sein sollte, in Schöneberg Klassenräume zu finden.« Pressesprecherin Sabine Puthz meinte, aus dem Schöneberger Schulamt hätte längst ein Vorstoß gemacht werden müssen. Etwa indem »mobile Container« angefordert worden wären. Die Senatsschulverwaltung würde das »natürlich« unterstützen.
An eine Container-Lösung für den aktuellen Bedarf zweier Klassenräume denkt indes auch das Schöneberger Schulamt. Karla Werkentin läßt derzeit prüfen, ob der Parkplatz der FHW für die Aufstellung von Baucontainern geeignet ist. Es kann also durchaus sein, daß 50 der 250 im Sommer neu beginnenden SchülerInnen in Containern für die Allgemeine Hochschulreife pauken werden.
Doch mit dieser »Lösung« wäre nur der gröbste Mißstand behoben. Die räumliche Krise, in die das Berlin-Kolleg schliddert, ist existentieller Natur. 36 Räume nutzt das Berlin- Kolleg in den Gebäuden der Fachhochschule für Wirtschaft in der Badenschen Straße: den Neubau aus den sechziger Jahren und den vierten Stock des Altbaus, in dem ein gutes Dutzend Verwaltungszimmer und einige Unterrichtsräume liegen. Und genau diesen vierten Stock benötigt die FHW ab dem Wintersemester selbst. »Wir können so nicht mehr weitermachen«, klagt der Rektor der FHW, Edgar Uherek, über die »abenteuerlichen« Belegungspläne. Das »absolute Minimum« dessen, was als Eigenbedarf geltend gemacht wird, ist der vierte Stock des Altbaus. Die StudentInnenzahlen der FHW sind seit zehn Jahren um das Vierfache gestiegen. Geburtenstarke Jahrgäng, der Run auf das betriebswirtschaftliche Studium und die »Stabilisierung der Fachhochschulen« sind nach Uherek dafür verantwortlich. »Nun stehen wir auf dem Schlauch!« Nicht viel anders geht es dem Berlin-Kolleg, das eine der Säulen für die Erringung des Abiturs auf dem zweiten Bildungsweg in der Bundeshauptstadt ist.
780 Menschen mit Lehre und beruflicher Praxis werden dort von 80 LehrerInnen unterrichtet. Daß der Platz für sie nicht mehr ausreicht, haben die Berlin-KollegiatInnen schriftlich. In einem Gutachten der Schulverwaltung wird das Fehlen von zwei Dritteln der notwendigen Räume konstatiert.
Die Ursachen für die Zuspitzung liegen dabei ziemlich sicher im Kompetenzgerangel zwischen Bezirk und Senat. Formal ging die Verantwortlichkeit für das Berlin-Kolleg 1985 in die Hände des Bezirks. Schöneberg hat für eine geeignete Bleibe Sorge zu tragen. Doch dort residierte und belegte der Senat eine Vielzahl von Gebäuden, seit das »Schöneberger Rathaus« Sitz der Berliner Landesregierung ist. Der Umzug des »Regierenden« ins »Rote Rathaus« löste bislang keines der Platzprobleme; er gleicht eher einer Rochade der Verwaltungen, ohne daß die eine mit der anderen kommunizieren würde.
Jüngstes Beispiel dafür sind die Umstände eines klärenden Gespräches zwischen den Schulverwaltungen. Die sollen laut Sprecherin des Schulsenates, Sabine Puthz, »in 14 Tagen« über eine neue Heimat für das Berlin-Kolleg beraten.
Karla Werkentin, Volksbildungsstadträtin in Schöneberg, weiß indes von diesem Termin noch gar nichts. Und ein Beamter des Schulsenats hat »gehört«, daß sich die Bauverwaltungen der Bezirke zusammensetzen sollen. Parkinsons Gesetz der sich unheimlich vermehrenden Verwaltung feiert fröhliche Urständ, während für 50 Noch-nicht-AbiturientInnen der zweite Bildungsweg länger und beschwerlicher wird. Christian Füller
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