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INTERVIEW»Diese Scheinheiligkeit muß endlich aufhören«

■ Der Berliner Ärztekammerpräsident Ellis Huber (42) zur Debatte über die Legalisierung von Haschisch und Marihuana

taz: Guten Morgen, Herr Huber. Haben Sie heute einen Kater?

Huber: Nein. Ich habe Samstag abend nicht viel Wein getrunken und nur wenige Zigaretten geraucht.

Ein Joint war nicht zufällig dabei?

Nein. Das habe ich vor ein paar Jahren versucht, aber nach den beiden ersten Malen ist mir kotzübel geworden. Danach war Haschisch für mich nicht mehr interessant.

Warum treten Sie so offensiv für die Legalisierung von Cannabisprodukten ein?

Wir brauchen Lebensverhältnisse, die möglichst wenig Drogenkonsum zur Folge haben. Aber wir sollten endlich mit der Scheinheiligkeit aufhören. Die schlimmste Gefahr geht von den Drogen Alkohol, Tabak und Tabletten aus, dann kommen die harten Drogen. Die weichen Drogen Hasch und Marihuana sind gesundheitlich viel weniger gefährlich als Alkohol und Tabak.

Was kann und sollte man in Berlin tun?

Alle Bemühungen unterstützen, um die Kriminalisierung des Konsum und Besitzes von Hasch abzuschaffen. Aber ich sehe die Gefahr, daß die Scheinheiligkeit eher zementiert wird und die politische Reaktion weiter diesen dämonisierten Suchtstoff braucht, um die Süchtigkeit der Gesellschaft zu verdrängen. Unsere Aufgabe muß sein, die nackten Realitäten immer wieder beim Namen zu nennen. Ich schätze, daß in Berlin Zehntausende, wenn nicht Hundertausende Hasch rauchen und weniger als 15 Prozent der Kiffer von härteren Drogen abhängig werden.

Es sind höchstens fünf Prozent. Das Lübecker Landgericht spricht in seinem aufsehenerregenden Urteil bundesweit von 100.000 Abhängigen harter Drogen und von zwei bis vier Millionen Haschischkonsumenten.

Das kann durchaus sein. Die internationale Literatur zeigt eindeutig, daß Haschisch nicht mehr Einstiegsdroge ist wie Arbeitslosigkeit, Alkohol oder Zigaretten. Die Perspektivlosigkeit der Jugend und die brutale Entsolidarisierung der Menschen ist die Bedrohung der 90er Jahre. Hier ist politisches Handeln gefragt.

Wie könnte die Legalisierung von Haschisch aussehen?

Es könnte so gehandhabt werden wie Tabak oder Schnaps — durch einen staatlich kontrollierten Handel. Bei weichen Drogen könnte der Verkauf über Apotheken organisiert und eine Abgabe an Minderjährige verboten werden. Eine Enttabuisierung des Problems und eine Legalisierung würde helfen, in der Schulerziehung ehrlich über einen vernünftigen Umgang mit Suchtstoffen zu reden, die es ja allerorten gibt. Eines ist sicher: Wir werden die Süchtigkeit nicht gänzlich aus unseren sozialen Gemeinschaften vertreiben können.

Treten Sie auch für eine Legalisierung der harten Drogen ein?

Nein, weil die harten Drogen den Menschen zerstören. Es ist aber notwendig, für diese Drogenabhängigen ein umfassendes pluralistisches Angebot bereitzustellen, das Ersatzdrogen beinhaltet, die aber in einen psychosozialen Hilfskontext eingebunden sein müssen.

Haben Sie Bekannte, die Haschisch rauchen?

Ich glaube, es gibt in meiner Altersgruppe kaum einen, der nicht Haschisch geraucht hat. Wenn ich ehrlich bin, kann man auf vielen Festen der 68er Generation einen Joint riechen. Ich frage mich immer wieder, wie all diese Lehrer, die gelegentlich selbst kiffen, ihren Schülern beibringen sollen, dies sei das größte Gift auf Erden. Interview: Plutonia Plarre

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