piwik no script img

Mediale Nabelschnur ins ferne Heimatland

■ Türkisches Wirtschaftsleben in Berlin (Teil 4): Zur Medienlandschaft Berlins gehören seit Jahren die türkischen Zeitungen und das Fernsehen/ Nur zwei Zeitungen bieten einen Berlin-Teil an / Ein eigener Radiosender ist nicht in Sicht

Berlin. Ali Yumusak, der Redaktionsleiter von 'Hürriyet‘ in Berlin, könnte sich befriedigt zurücklehnen. Unter allen sieben türkischen Tageszeitungen, die an Berliner Kiosken angeboten werden, steht sein Blatt unangefochten an der Spitze. Das streng nationalistische Blatt, den Grundsätzen des Staatsgründers Atatürk verpflichtet, verkauft täglich rund 10.000 Exemplare. Aber so recht froh ist Yumusak darüber nicht. Er leide manchmal an der mangelnden Konkurrenz, denn »nur damit kann man den Journalismus peitschen«, klagt der 42jährige. Doch die Peitsche bleibt wohl noch lange Wunschtraum. Wenn nämlich donnerstags zusätzlich die Berlin-Beilage herauskommt, steigt die verkaufte Auflage von 'Hürriyet‘ um 2.000 und erobert sich damit einen Marktanteil von über 60 Prozent unter allen in Berlin verkauften türkischen Tageszeitungen (geschätzte Gesamtverkaufsauflage: 18.000). Das Erfolgskonzept von 'Hürriyet‘ ist denkbar einfach: »Wir nehmen fast die Aufgabe eines zweiten Konsulats hier wahr. Bei kleinsten Problemen ruft ein Türke bei uns an, etwa wenn er seinen Paß verloren hat oder ihm seine Tochter weggelaufen ist«, erklärt Yumusak. »Wir berichten von den Herzen der Menschen«, fährt er fort und umschreibt damit das Strickmuster der erfolgreichsten türkischen Tageszeitung: Boulevardjournalismus.

Solcherart sind auch die Themen, die großformatig und mit gestochenen Farbfotos präsentiert werden: etwa ein Bericht über eine Berliner Türkin, die nach fünf Jahren einen Brief von ihrer Berliner Bank erhielt, die nur 500 Meter um die Ecke liegt. Ironischer Titel: »Deutsche Post brach alle Rekorde«. Oder die Erfolgsmeldung eines türkischen Friseurs aus Berlin, der in Norddeutschland bei einem Wettbewerb einen Pokal gewonnen hat. Dazu jede Menge Sport. Fußball und Ringen vor allem, Disziplinen, in denen die türkischen Vereine in Berlin erfolgreich sind. Von den acht Journalisten im Berliner Büro sind nur zwei fest angestellt, die anderen sind freie Mitarbeiter. Sie erstellen, je nach Ausgabe, zwischen vier und acht Seiten der Berlin-Beilage. Einem Grundsatz haben sich alle Redakteure zu unterwerfen: dem Laizismus, der strikten Trennung von Staat und Religion. Ihn bis »zu unserem Lebensende zu schützen« sei das übergeordnete Ziel der Zeitung, sagt Yumusak mit einem gewissen Pathos. Was sich auch in der Berichterstattung niederschlägt, wie er freimütig zugibt: »Über die Koranschulen, die zwar täglich mehr werden, findet sich bei uns kein Bericht.« Die Zeitung sei kein Feind der islamischen Religion, wolle aber nicht »in die Manipulationen der islamischen Organisationen« hineingezogen werden.

Weit weniger nationalistisch arbeitet 'Milliyet‘, das sich als einziges Blatt neben 'Hürriyet‘ einen Berlin- Teil leistet. Bescheidene 3.000 Exemplare werden täglich in Berlin verkauft. Ali Yildirim, hauptberuflich Geschäftsmann und Dolmetscher, leitet das Berliner Redaktionsbüro seit August vergangenen Jahres. Sein Blatt, das er als »linksliberal« bezeichnet, unterscheide sich im Berlin-Teil vom großen Konkurrenten dadurch, »daß sicherlich mehr über die Aktivitäten der sozialdemokratischen Vereine in Berlin berichtet wird«. Ansonsten aber setzt auch 'Milliyet‘ auf seichten Boulevardjournalimsus. Einer liegt sicherlich in der schlechteren Ausstattung. Die einzige Berlin-Seite wird von 15 Amateuren erstellt, die dafür keinen Pfennig Geld erhalten. Aber geträumt wird auch bei 'Milliyet‘: bis zum Sommer soll zusätzlich eine Seite aus und für Berlin erscheinen, bis zum Herbst gar täglich.

Weitgehend unbeachtetet von der deutschen Öffentlichkeit hat sich das Fernsehen entwickelt. Es ist ausschließlich über Kabel zu empfangen — wohl mit ein Grund, warum mehr als 80 Prozent der türkischen Haushalte an das Kabelnetz angeschlossen sind. Ganz oben in der Gunst der Türken steht der private Sender TD 1, der sein Programm aus dem Bezirk Wedding ausstrahlt. Seit der Premiere im August 1985 wurde die Sendezeit ständig erhöht: von einst 6 auf nunmehr 22 Stunden täglich. Programmchef ist der 58jährige Atalay Özcakir, der bis Mitte der sechziger Jahre Darsteller in mehr als 40 türkischen Abenteuer- und Liebesfilmen war. »Wir müssen eine friedliche Zukunft für Berlin bauen«, faßt er schlagwortartig das Ziel von TD 1 zusammen. Vor kurzem beteiligte sich der Sender an einer gemeinsamen Diskussionsrunde zwischen türkischen Jugendlichen und der Berliner Polizei. Trotz dieses Engagements: Bei genauerem Hinsehen ähnelt TD 1 in vielem den deutschen Pendants von RTL oder SAT1. Spielshows und herzergreifende Spielfilme füllen den Großteil der Sendezeit. Besonders beliebt sind bei Özcakir die indischen Spielfilme, weil sie »mindestens zwei bis drei Stunden dauern und wir nicht so viele Kassetten wechseln müssen«.

Doch TD 1 rückt mittlerweile ein ernsthafter Konkurrent auf den Leib: der türkische Staatskanal TRT. Seit zwei Jahren speist er sein achtstündiges Programm TRT-INT direkt aus der Türkei in das Berliner Kabelnetz ein und hat nicht nur professionelles Know-how, sondern auch das nötige Kleingeld parat. TRT-INT verpflichteten sich zudem gegenüber dem Kabelrat, bis März dieses Jahres 15 und bis Ende des Jahres 30 Prozent der Sendungen in Berlin oder Deutschland herzustellen. Um den Anteil zu erfüllen, grast derzeit ein Aufnahmeteam Berlin von morgens bis abends nach Themen ab.

Der Leiter des Berliner Teams, Müjdat Kocer, sieht seinen Auftrag darin, »der türkischen Gesellschaft in Berlin das Gefühl des Alleinseins zu nehmen«. Mitgenommen wird daher alles, was im entferntesten mit dem türkischen Leben zu tun hat. Türkische Wissenschaftler und Künstler, Betriebe, aber auch ein Bericht über zwei »Turkologen« aus der ehemaligen DDR gehören zum Sammelsurium der Sendung, die anschließend in Ankara sendefertig gemacht werden soll.

Ein Dasein am Rande der Großen fristen hingegen die kleineren türkischen Sender. Während TDF als islamischer Kanal sich auf dem Mischkanal bevorzugt politischen Sendungen widmet, gelten BTT und ATT wegen ihrer Machart als »schwarze Schafe«. Sie senden mehrmals wöchentlich auf dem Kanal von TD 1 — sehr zum Ärger von Özcakir, der dadurch sein eigenes Programm in Mißkredit gebracht sieht: »Die scheren sich wenig um die Urheberrechte der Filme und besorgen sich nicht selten genug ihre Spielfime in den Videogeschäften, um sie dann auszustrahlen«. Öfters habe er sich deswegen bei der Kabelzentrale beschwert. Dort wird dies bestätigt. Den Vorwurf mangelnder Kontrolle weist Ingeborg Ludwig von der Kabelanstalt zurück: »Das ist Aufgabe derjenigen, die die Rechte am Film haben.«

Nur einen marginalen Einfluß hat indes das Radio. Bis heute gibt es in Berlin keinen eigenen türkischen Radiosender. Der SFB hat seine fremdsprachigen Programme gar vom UKW-Bereich auf die schlechter zu empfangenden Mittelwellenfrequenzen verbannt. Kaum freundlicher sieht es im Berliner Privatfunk aus. Nach dem Niedergang vom Alternativ-Sender Radio 100 sind die fremdsprachigen Programme (Kurdisch, Polnisch, Arabisch, Türkisch) bei Radio Energy verblieben. Hier fühlen sie sich hingegen wie »ein Fremdkörper«, erzählt Özcan Ayanoglu. Er gehört zur dreiköpfigen türkischen Mannschaft, die jeden Sonntag eine Stunde sendet. Die Stimmung der ausländischen Mitarbeiter bei Radio Energy ist alles andere als gut. In letzter Zeit wurden nicht nur die Sendezeiten für fremdsprachige Programme ständig heruntergeschraubt. Geschäftsführer Thomas Thimme verlangte gar kürzlich von den Mitarbeitern, ihm die Redebeiträge in vollständiger Übersetzung vorzulegen. Dagegen wurde Protest bei den Gesellschaftern eingelegt. Der Ausgang sei »in der Schwebe«, so Ayanoglu. Bei Radio Energy werde man auf »alle Fälle bis zum Sommer oder Herbst 1992« bleiben. Für die Zukunft wünscht er sich vor allem eins: die Freigabe einer »Minderheitenfrequenz«. Ein Wunsch, der angesichts der bisherigen Medienpolitik in Berlin so bald wohl nicht in Erfüllung gehen wird. Severin Weiland

Die Serie wird fortgesetzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen