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Kino für Nichtsehende

Frankfurt/Main (dpa) — Auch Blinde und Sehbehinderte können sich einen Film „anschauen“. In Frankfurt wurde am Wochenende vorgeführt, wie das möglich ist.

Aus einem Extra-Lautsprecher neben der Leinwand tönte der Satz: „Lucas sitzt auf seinem Bett und klopft mit einer Stricknadel auf das Glas seiner offensichtlich starken Brille.“ Die Besucher des Frankfurter Kinos hörten parallel zum Leinwandgeschehen eine Schilderung der ersten Szene des Filmes Angst vor der Dunkelheit. Auch später — bei Szenenwechseln, Dialogpausen und nicht identifizierbaren Geräuschen — erklang immer wieder die Stimme des Sprechers. Der Grund: Viele der Kinobesucher waren blind.

Dieser Versuch, Kino für Nichtsehende erlebbar zu machen, hatte letzten Sonntag Blinde wie auch Sehende ins Berger-Kino gelockt. Für das ungewöhnliche Experiment hatten der Filmverleih „Twentieth Century Fox“ aus Frankfurt und eine Arbeitsgruppe aus München, die seit Jahren Kinowelt für Blinde in der Bundesrepublik zu erschließen versucht, mit Angst vor der Dunkelheit einen Film ausgewählt, in dessen Mittelpunkt die Blindheit steht. Der elfjährige Lucas, der mit einer Operation vor dem Erblinden bewahrt werden soll, entfaltet eine Phantasie, die ihn zu schrecklichen Taten antreibt.

„Die Handlung des Films ist so verwoben, daß schon die Sehenden Schwierigkeiten haben, sie richtig einzuordnen. Deshalb mußte ich die von der Münchner Arbeitsgruppe erarbeiteten Zwischentexte noch ergänzen, damit die Blinden das Geschehen besser verfolgen können“, sagte Erzähler Gerd Bollmann. Der erfahrene Sprecher des Hessischen Rundfunks saß in der letzten Reihe und sprach die Erläuterungen direkt ins Mikrophon.

Die blinden Besucher waren übereinstimmend der Auffassung, sie hätten mit Hilfe der Erläuterungen der Handlung gut folgen können. Bei den sehenden Besuchern war die Reaktion geteilt. Manche meinten, die Erläuterungen hätten Spannung gekostet. Andere sagten, sie seien dank der Kommentare auf Dinge aufmerksam geworden, die sie sonst nicht bemerkt hätten.

Die Idee, auch blinden Menschen Kinoerlebnisse möglich zu machen, war 1973 dem Bruder des Filmregisseurs Francois Coppola, August Coppola, gekommen. Einer seiner Freunde hatte bei einem Autounfall das Augenlicht verloren. August Coppola — inzwischen Dekan für die Blinden-Künste an der Universität in San Francisco in den USA — brauchte fünf Jahre, um Sponsoren für sein Projekt zu finden. In den USA werden manche Filme mit einer zusätzlichen Sprachspur versehen, deren Erläuterungen Nichtsehenden im Publikum über Infrarotstrahlen drahtlos in Kopfhörer übertragen werden. Die Kosten dafür: 10.000 Dollar pro Film. In Europa ist 1989 in Paris das Operettentheater zum ersten Blindenkino mit Vorrichtungen für die drahtlose Übermittlung der Erläuterungen umgebaut worden.

Nach der großen Resonanz auf das Experiment in Frankfurt hoffen die Blinden und Sehbehinderten in der Bundesrepublik ebenfalls auf Spender, die das Untertiteln von Kino- und Fernsehfilmen mit Worterklärungen ermöglichen. Bei TV-Sendungen mit Stereoton ist die Übertragung der Erläuterungen über einen der beiden Kanäle möglich.

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