'Theater der Zeit– geht ein

■ Ein Neuanfang hat nur halb stattgefunden. Balanceakt von Nummer zu Nummer

Mit Bedauern nehmen wir das Ableben der Zeitschrift 'Theater der Zeit' zur Kenntnis. Mit Bedauern gibt auch Martin Linzer, der Chefredakteur jener Illustrierten, im Märzheft die „(vorläufige?)“ Einstellung der Stimme der Theaterkritik in der ehemaligen DDR bekannt. Das Beileidsschreiben der taz-Kollegin fällt vielleicht im Ton etwas kühl aus, dennoch ist es keine Pflichtübung. Sie weint dem Blatt eingestandenerweise keine heißen Tränen nach. Dazu schien sich bei der seit 1946 im Ostberliner Henschel-Verlag erscheinenden Zeitschrift zu wenig verändert zu haben. Die Kritiken blieben auch im neuen Outfit spröde, die Kritiker dieselben. „Die Mannschaft hat sich seit der Wende nicht verändert“, gibt Martin Linzer auf Nachfrage zu. Neue Leute sind nicht hinzugekommen. „Wir stehen dazu“, meint Linzer, „immmerhin hat sich die Mannschaft auch nicht zufällig verkleinert.“

Martin Linzer, 1931 in Berlin geboren, ist erst 1990 zum Chefredakteur von 'Theater der Zeit' ernannt worden. Aber er war lange vorher bereits dabei: als Redakteur, von 1954 bis 1963 und wiederum von 1967 bis 1990. Dann trat der frühere Chefredakteur Hans-Rainer John zurück, der das Blatt seit 1974 geleitet hatte.

„Die ... Geschichte der Zeitschrift verlief analog der Geschichte des DDR-Theaters, einer Geschichte zwischen Anpassung und Renitenz, Opportunismus und Subversivität, geprägt von den jeweiligen Machern, ihren Haltungen und Absichten, geprägt von ihrer persönlichen und fachlichen (Nicht-)Integrität“, schreibt Linzer in dem Beerdigungsschreiben, das der Märznummer im übrigen nur als loses Blatt (in letzter Minute also?) beigefügt wurde. 'Theater der Zeit' und seine Leute werden sich nicht mehr oder weniger opportunistisch verhalten haben als das DDR-Theater und seine Macher auch. (In einem langen Interview hat Martin Linzer im übrigen detailliert über die Praxis Auskunft gegeben: vgl. das Oktoberheft von 'Theater heute' 91.) Letztere stehen bloß seit den Oktoberdemonstrationen in einem besseren Ruf. Und der zahlt sich nun, wo jeder seine Haut zu Markte tragen muß, eher aus.

Auch 'Theater der Zeit‘ hat versucht, Kosmetik zu betreiben und sein Äußeres zu verändern. Bis Ende 1990 noch flossen die Subventionen vom früheren Theaterverband der DDR, dessen Verbandszeitschrift ‘Theater der Zeit‘ Mitte der sechziger Jahre wurde. Danach, im Januar 1991, war ein kleiner Preisanstieg von 3,50 M auf 12 DM fällig, gleichzeitig wurde das Layout auf Hochglanz poliert. So wie der Preis stieg, sank die Zuneigung der (Abo-)Kundschaft. Von einst 12.000 Exemplaren in Vorwendezeiten runter auf 1.000 zuletzt. (Die Umstellung des DDR- Postvertriebssystem tat ein übriges, denn die Post hatte die Remittenden stets übernommen.) Das letzte Jahr war „ein Balanceakt von Nummer zu Nummer“, berichtet Linzer. Die drastische Preiserhöhung bezeichnet er im nachhinein als „Milchmädchenrechnung“. Ausgezahlt hat sie sich bestimmt nicht.

Die abspringende Ostklientel konnte beim Preis nicht mithalten und störte sich an der neuen westlichen Ausrichtung; die geringfügig hinzukommende Leserschaft aus den westlichen Bundesländern hätte weniger Verpackung und dafür mehr neue inhaltliche Ansätze bestimmt in zumehmenden Maße honoriert. Schließlich informierte 'Theater der Zeit‘ auf allen Gebieten: Theater, Tanz und Oper, berichtete ausführlich über die nur in der DDR handwerklich gepflegte Tradition des Puppentheaters und Pantomimespiels. Aber vor allem verstand sich 'Theater der Zeit‘ als „Interessenvertreter“ der ehemaligen DDR-Bühnen und DDR-Kultur, mit allen institutionellen Aspekten und seinem Privilegiendenken, aber eben auch mit seiner ganzen Eigenart.

Das ist vorbei. Es sei denn ... Im Hause Henschel in der Oranienburger Straße rumort es, Veränderungen stehen bevor, und darum setzt man erst einmal ein Fragezeichen hinter das Wort „letzte“ Nummer. Ein April-, Mai- oder Juniheft soll es jedenfalls nicht geben, und der Belegschaft von 'Theater der Zeit‘ ist fristgerecht zum 30. Juni gekündigt worden. Man verabschiedet sich also flüchtig, nicht richtig. Statt eines resümierenden Editorials des Herausgebers oder Chefredakteurs — eines veritablen Schlußworts also — darf Adolf Dresen, der in den Westen gegangene Regisseur, „in Solidarität mit 'Theater der Zeit‘“, die „Schlammschlacht“ und die schlimmen Folgen der Vergangenheitsbewältigung in der alten DDR kommentieren; einen Gefallen tut er und tut sich 'Theater der Zeit‘ mit diesem Gastbeitrag nicht unbedingt, da sich die Grauzone „zwischen Anpassung und Renitenz, Opportunismus und Subversivität“ nunmal schlecht behaupten und beweisen läßt.

„Für 'Theater der Zeit‘ war“, schreibt Dresen, „wie für andere 'Druckerzeugnissse‘, Opposition weit schwieriger zu leisten als für das Theater selbst. Die in der DDR allein mögliche nicht-öffentliche Art von Öffentlichkeit war immer eine zwischen den Zeilen, und Druckerschwärze war viel leichter anzuchwärzen. Was man in der DDR machen konnte, dafür gab es selten irgendwelche Verhaltensnormen, das mußte man von Fall zu Fall entscheiden — von außen sieht das dann leicht aus wie Lavieren. Was in westlichen Ländern als selbstverständlich gilt und überhaupt nicht bemerkt wird, war dann manchmal schon eine Heldentat. Ist nicht sonderbar, daß sich in der DDR anscheinend niemand mehr auf solche Heldentaten besinnen kann?“

Ein Grund mag darin liegen, daß es die DDR nicht mehr gibt.

Ein weiterer Grund mag sein, daß das Wort „Heldentat“ vielleicht doch ein wenig hochgestochen klingt. Geradezu exaltiert. Exzentrisch, wie Theaterleute eben so sind.

Ein Heldenleben hat 'Theater der Zeit‘ bestimmt nicht hinter sich, aber was nicht war, hätte ja noch werden können. Jetzt gibt es in Deutschland wieder nur die eine Theaterzeitschrift, die heroisch das Wort 'heute‘ im Namenszug trägt. Ein kleiner theaterinteressierter Kreis von Menschen, der gerne unter sich bleibt. Darum bedauern wir eben doch, aufrichtig.

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