: Just: „Mitgeschossen“ und unschuldig
Der während der Nazi-Zeit an der Ermordung von sechs Juden beteiligte brandenburgische Alterspräsident Gustav Just denkt nicht an Rücktritt/ Er sieht seine Tat als „Befehlsnotstand“ ■ Von Bettina Markmeyer
Potsdam (taz) — Der Alterspräsident und SPD-Abgeordnete des brandenburgischen Landtags, Gustav Just, will sein Mandat „vorläufig behalten“. Das erklärte Just gestern in Potsdam. Aufgeben will der 73jährige jedoch den Vorsitz und seine Mitgliedschaft im brandenburgischen Verfassungsausschuß — wenige Tage vor der zweiten Lesung der Landesverfassung. Sein weiteres Verhalten macht Just von der Entscheidung des Parteivorstands und der SPD-Landtagsfraktion abhängig, die heute berät: „Wenn die SPD es empfiehlt, lege ich natürlich mein Mandat nieder.“
Just hatte sich als Gefreiter der Wehrmacht am 15. Juli 1941 an einer Vergeltungsaktion, der Erschießung von sechs Juden in einem ukrainischen Dorf, beteiligt (die taz berichtete). Der Kompaniechef, so schilderte Just das Ereignis gestern, habe seinem gesamten Zug, etwa 20 Soldaten, befohlen, sechs „abgerissen wirkende Menschen“ zu erschießen. Just: „Ich selbst habe dabei mitgeschossen. Das ist Tatsache.“ Ob es sich um Juden gehandelt habe, wisse er bis heute nicht.
Just gehört zu den prominentesten SPD-PolitkerInnen in Brandenburg. 1957 wurde der einstige stellvertretende Chefredakteur des 'Sonntag‘ im spektakulären Prozeß gegen Walter Janka und Wolfgang Harich zu vier Jahren Zuchthaus wegen 'Boykott-Hetze' verurteilt. Anschließend arbeitete er als Übersetzer. 1989 gründete er den SPD-Kreisverband Bernau, dessen Vorsitzender er war. Der SPD-Abgeordnete sieht in den Vorwürfen gegen ihn eine „Kampagne“. Mindestens seit 1990 sei aufgrund von Veröffentlichungen bekannt, daß er als Soldat 1941 an der Erschießung von Juden beteiligt gewesen wäre, meinte Just. Doch selbst in der Potsdamer SPD-Fraktion wußten nur wenige Abgeordnete von Justs Kriegsaktivitäten, wie der Pressesprecher gestern bestätigte. Der Fraktionsvorsitzende Steffen Reiche war nicht, wie angekündigt, zu der Pressekonferenz erschienen.
Energisch bestritt Just, sich freiwillig zur Erschießung der Juden gemeldet zu haben. Entsprechende ausführliche Schilderungen Walter Jankas gegenüber der 'Welt am Sonntag‘, so Just gestern, „sind von vorne bis hinten falsch“. Janka wiederum hatte sich auf Justs Kriegstagebuch bezogen, aus dem Just 1957 im Verlauf des Prozesses gegen Janka und Harich seine eigene Schilderung der Hinrichtung vorlesen mußte. Offensichtlich, so Just, verwechsle Janka seine, Justs, freiwillige Meldung zum Kriegsdienst mit den Ereignissen in der Ukraine.
Ob sich Just freiwillig an der Erschießungsaktion beteiligt hat, ist wesentlich für die Frage, ob er sich der Beihilfe zum Mord oder des Mordes schuldig gemacht haben könnte. Der Leitende Oberstaatsanwalt der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen, Alfred Streim, sagte der taz gestern, seine Behörde habe seit August letzten Jahres gegen Just ermittelt und das Verfahren am 21.11.1991 an die zuständige Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Oder abgegeben. Diese ging nur von Beihilfe zum Mord aus und hat das Verfahren wegen Verjährung bereits eingestellt (vgl. Interview unten). Demgegenüber erklärte Just gestern, die westdeutsche Justiz versuche, „ihre versäumte Abrechnung mit dem Faschismus an mir nachzuholen“.
Oberstaatsanwalt Streim bezeichnete es als „sehr merkwürdig“, daß die DDR-Justiz nicht bereits während des Janka/Harich-Prozesses die Anschuldigungen gegen Just aufnahm und ermittelte. Just war am 8. März 1957 im Gerichtssaal verhaftet worden, als er als Zeuge aussagen sollte. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung beschlagnahmte die Stasi auch sein Kriegstagebuch. Während der Verhöre, so Just, sei er mehrfach zu den Ereignissen in der Ukraine befragt worden. Dann sei jedoch — offensichtlich nach Rücksprache mit sowjetischen Justizbehörden — keine Anklage wegen eines Kriegsverbrechens gegen ihn erhoben worden. Für ihn sei die strafrechtliche Seite des Ereignisses damit erledigt. Einem eventuellen neuen Ermittlungsverfahren sehe er „mit Fassung“ entgegen.
Gustav Just, der sich gestern „zutiefst erregt und verwirrt“ darüber präsentierte, daß er jetzt mit einem Ereignis konfrontiert werde, „daß sich in einem anderen Leben abgespielt hat“, blieb bei seiner Darstellung, er habe als 20jähriger Soldat aus einem „Befehlsnotstand“ heraus gehandelt. In der Nazi-Armee und erst recht an der Front sei „absoluter Gehorsam“ verlangt worden, und „als einfache Soldaten haben wir nicht nachgedacht“. Bei Befehlsverweigerung, so Justs Überzeugung, „hätten wir uns gleich mit an die Wand stellen können“. Aus heutiger Sicht, so Just, „war es jedoch ein Verbrechen, Menschen ohne Gerichtsverfahren und Urteil zu erschießen“.
Simon Wiesenthal, Leiter des Dokumentationszentrums des Bundes Jüdischer Verfolgter des Nazi-Regimes zur Verfolgung von NS-Verbrechen tritt für eine strafrechtliche Untersuchung im Fall des brandenburgischen Alterspräsidenten im Landtag, Gustav Just (SPD), ein. Der Vorgang müsse ans Licht kommen, sagte er. „Ein Abgeordneter, der so einen Vorfall vergißt oder verdrängt, ist fehl am Platze“, so Wiesenthal. Auch Heinz Galinski, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, verlangte den Rücktritt Justs. Konrad Weiß vom Bündnis 90 appellierte gestern an die brandenburgische SPD, Just zum Abtritt zu bewegen.
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