Ab 7.000 Mark ist jeder dabei

Die mediale Vermarktung des Falles Jack Unterweger stößt in neue Dimensionen vor: Jeder „intime“ Fetzen Papier wird teuer gehandelt  ■ Aus Wien Michael Völker

Am kommenden Dienstag soll der Literat Jack Unterweger, der des siebenfachen Mordes an Prostituierten verdächtigt wird, von Miami nach Wien überstellt werden. Die Polizei räumt ein, gegen den 41jährigen auf Bewährung entlassenen „Lebenslangen“ keine Sachbeweise, sondern nur Indizien oder Verdachtsmomente in der Hand zu haben. In seiner Heimat wird Unterweger in den Zeitungen dennoch nicht nur über seine Schuld, sondern auch über sein Liebesleben und seine Sexualpraktiken nachlesen können. Die Kosten für eine allfällige Verteidigung vor Gericht sind durch diese Vermarktung jedenfalls schon hereingespielt.

Als Jack Unterweger am 27.Februar von Beamten des US Marshall Service in Miami verhaftet wurde, war er gerade auf dem Weg zur Bank, um sich eine Anzahlung auf jene 100.000 Schilling (etwa 14.000 DM) abzuholen, die ein Bekannter in Wien für ein Interview mit einer Wochenzeitung ausgehandelt hatte. Unterweger hatte am Telefon die Adresse der Bank angegeben, das Telefon des Freundes wurde abgehört. Zuvor hatte die österreichische Polizei alles unternommen, um Unterweger, den des siebenfachen Mordes Verdächtigen, in die Flucht zu schlagen. Daß ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wurde, erfuhr der 41jährige Literat aus den Zeitungen. Daß ihn die Polizei in Zusammenhang mit sieben Morden an Prostituierten in Wien, Graz und Vorarlberg brachte, wußte er schon vorher: Er war mehrere Male dazu verhört worden — allerdings ergebnislos. Als sich die Kriminalisten am 14.Februar von Graz nach Wien aufmachten, um Unterweger zu verhaften (in Graz war der erste Mord, dessen der Literat verdächtigt wird, geschehen), waren auch zwei Journalisten einer Grazer Zeitung dabei. Allerdings war Unterweger zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg in die Schweiz, um dort seine 18jährige Freundin Bianca abzuholen. Am 16.Februar setzten sich Unterweger und seine Freundin über Paris und New York nach Miami ab. Die Gründe für den Haftbefehl gegen ihn, die Indizien und Verdachtsmomente, konnte er vorher noch in allen Details den Zeitungen entnehmen, die von geschwätzigen Kriminalbeamten großzügig informiert worden waren.

Hausdurchsuchung mit dem ORF

Zu der Hausdurchsuchung in Unterwegers Wohnung hatte die Polizei auch einige Journalisten und ein Kamerateam des ORF geladen, die sichergestellten Tagebücher mit pikanten Details aus dem Liebesleben des Flüchtigen wurden ebenso herumgereicht wie Pornoaufnahmen. Seine Sexualpraktiken wurden nicht nur öffentlich breitgetreten, sondern auch als belastendes Indiz gewertet. Der Polizei schien es darüber hinaus ein Vergnügen zu bereiten, seine angeblich 70 Freundinnen, die überwiegend den „oberen Zehntausend“ angehörten, vorzuladen und sich der Presse gegenüber in Andeutungen zu ergehen. Eine Woche nach der Flucht Unterwegers verhängte der Innenminister eine absolute Informationssperre. Selbst die Presseabteilung des Ministeriums schwieg beharrlich. Das öffentliche Interesse am Fall Jack Unterweger aber war groß und von den Zeitungen bereits entsprechend geschürt worden. Also mußte neuer Stoff her: Nachdem sich zuvor die Kriminalisten als zuverlässige Mitarbeiter der Medien erwiesen hatten, schwangen sich die Journalisten zu Kriminalisten auf. Angeblich belastende Indizien wurden zusammengetragen, Verdachtsmomente erhärteten sich schon durch ihre bloße Behauptung, neue Zeugen wurden aufgetrieben. Die Schlagzeilen überschlugen sich: „Ließ er sich von Huren fesseln?“ oder: „Er fuhr mit mir in den Wald und würgte mich.“ Die kollektive Vorverurteilung Unterwegers in den Medien ist in Österreich ohne Beispiel. Als sich die Zeitungen schließlich in eigenen Recherchen erschöpft hatten, durfte noch politisches Kleingeld verdient werden: Die FPÖ erkundigte sich empört nach all den Stipendien, die Unterweger zugute gekommen waren, und fragte: „Ist es wahr, daß ein Mörder an Schulen vortragen durfte?“

Jack Unterweger war 1976 wegen Mordes an einem Mädchen zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Im Mai 1990 wurde er auf Bewährung entlassen. Im Gefängnis hatte er zu schreiben begonnen. Sein Thema hieß Jack Unterweger. Er schrieb über seine Tat, seine Kindheit, die sein Schicksal war, über das Leben im Gefängnis und wurde schließlich sein eigener Bewährungshelfer. Sein erster Roman, Fegefeuer oder die Reise ins Zuchthaus, bestach weniger durch seine literarische Qualität als vielmehr durch die berührende Authentizität. Seine vorzeitige Entlassung hatte er nicht zuletzt der Unterstützung zahlreicher österreichischer Kunstschaffender zu verdanken. Nach seiner Entlassung wurde Unterweger herumgereicht, die Monatsillustrierte 'Basta‘ begrüßte ihn als neuen Mitarbeiter, er diskutierte im Radio und im Fernsehen. Die Freiheit bedeutete für Unterweger aber schon bald den Verlust seines Außenseiterbonus. Der Erfolg als Schriftsteller blieb aus. Als er 1989 in Klagenfurt beim Publizistik-Preis las, wurde sein Text Im Namen der Republik von den Juroren verrissen. Sein Theaterstück Schrei der Angst fiel durch. Seinen Lebensunterhalt bestritt Unterweger aus Stipendien, aus den Honoraren für Lesungen im kleinen Kreis und Vorträgen an Schulen.

Recherche in der Unterwelt

Interessant wurde der Literat Unterweger, als im Frühjahr 1991 innerhalb weniger Wochen drei Prostituierte in Wien erdrosselt wurden und eine weitere spurlos verschwand. Unterweger, der Kenner der Szene, durfte in seinem ehemaligen Milieu recherchieren. Für die Wiener Stadtzeitung 'Falter‘ berichtete er von den Tatorten, für den ORF nahm er ein Feature auf. Vom Chef des Wiener Sicherheitsbüros, der jetzt die Ermittlungen gegen ihn leitet, ließ er sich damals ein Psychogramm des unbekannten Prostituiertenmörders diktieren. Als auffiel, daß auch in Graz mehrere Prostituierte erwürgt worden waren, wurde Unterweger auch dorthin geschickt.

Die Honorare waren nicht ein Zehntel dessen, was Jack Unterweger, der des Mordes Verdächtige, jetzt für Interviews einstreicht. Aber nicht nur Authentisches, sondern bereits Informationen aus zweiter Hand kosten Geld. Wenn einer seiner beiden Anwälte Informationen über die Gemütslage seines Klienten geben soll, wird zuerst der Preis ausgehandelt. Ab 7.000 DM ist jeder dabei. Die geheimen Fluchttagebücher sind ebenso am Markt wie die Tagebuchnotizen, die Kalendereintragungen oder das 30seitige Entlastungselaborat, das Unterweger verfaßt hat.

Auch Bianca, seine bereits heimgekehrte Freundin, hat sich einen Anwalt genommen. Nicht zu ihrer Verteidigung, sondern um ihre Erlebnisse zu vermarkten. Für rund 100.000 DM erhielt die 'Kronen- Zeitung‘, Österreichs größte Tageszeitung, den Zuschlag und behielt recht: Die Serie Biancas Love Story — Jack ist mein Schicksal samt exklusiver Nacktfotos beschert der 'Kronen-Zeitung‘ einen Höhenflug der Verkaufszahlen. Der 'Kurier‘, die zweitgrößte Tageszeitung, muß sich indes mit Spekulationen zufriedengeben, ob die 18jährige Schülerin Bianca nicht vor oder während ihrer Beziehung mit Unterweger als Prostituierte gearbeitet hat.