: Bremens illegale Extremisten-Datei
■ Verfassungsschutz speicherte „Extremisten“ ohne Rücksicht auf Bremer Recht
Der Bremer Verfassungsschutz hat auch nach Abschaffung des „Extremistenbeschlusses“ völlig ohne Rechtsgrundlage und gegen einschlägige Bestimmungen des Datenschutzes eine „Extremisten-Datei“ geführt. Er liefert im Verhältnis zur Bevölkerungszahl Bremens sieben Mal mehr Staatsbürger an den Computer des Bundesamtes für Verfassungsschutz als andere Verfassungsschutzämter. Auf diese Tatsache ist der kommissarische Bremer Datenschutzbeauftragte Sven Holst im Dezember 1991 gestoßen. Die Öffentlichkeit sollte nichts davon erfahren: In den Datenschutzbericht sollte der Fall nicht aufgenommen werden. Gestern wurde höchst vertraulich der Datenschutz-Ausschuß der Bremer Bürgerschaft informiert.
Nur gerichtsverwertbare Tatsachen, die nicht länger als drei Jahre zurückliegen, dürfen berücksichtigt werden, wenn die Verfassungstreue festgestellt werden soll, steht im „Amtsblatt“ der Freien Hansestadt Bremen vom 16.2.1983. Offenbar war der Verfassungsschutz so frei, sich nicht an Recht und Gesetz zu halten: Völlig unabhängig von diesen Kriterien wurden auch in den 80er Jahren der Kölner VS- Zentrale die Daten von BremerInnen übermittelt, die als „Extremisten“ gelten sollen. Ca. 100 Personen in Bremen fallen darunter. Für sie wird bis heute bei der SKP nach Gehaltsgruppe und Stellung gefragt, das Bundesamt für Verfassungsschutz kann so die „Karriere“ der Extremisten in Bremen minutiös dokumentieren.
Und während das Bremer Amtsblatt nur „Tatsachen“ gelten lassen will, ist in dem formalisierten Bogen des VS sogar eine Kategorie: „beweisbar/nicht beweisbar“ eingeführt. Jedes Verfassungsschutz-Amt zwischen Kiel und München kann dann das Resultat „nicht beweisbarer“ Angaben aus Bremen im Kölner Computer anzapfen.
Hochschullehrer, Sozialarbeiter wie Krankenhausmitarbeiter hat der Bremer VS nach Köln gemeldet. Der Bremer Datenschutzbeauftragte hat an Stichproben in der Gruppe der „Hochschullehrer“ überprüft, wer da gespeichtert ist. Das Ergebnis, das er gestern dem Datenschutzausschuß des Parlaments mitteilte, ist niederschmetternd: Erklärungen gegen das chilenische Pinochet-Regime, Manifestationen gegen die Neutronenbombe, selbst Aufrufe für das Russell- Tribunal in den 70er Jahren fanden sich in den „P-Akten“ des Verfassungsschutz bei der Kontrolle im Dezember 1991. Selbst für 1990, als es keine relevante extremistische Gruppe mehr gab und selbst die DKP in Auflösung war, habe die Zahl der „Extremisten“ in den Akten des Verfassungsschutz nur unwesentlich abgenommen, bestätigte Holst gegenüber der taz. Die Hälfte der Akten, die der Datenschutzbeauftragte bei seinen Stichproben untersucht hat, mußten nach seiner Intervention sofort vernichtet werden.
Die Bremer Verfassungsschützer waren im Bundesdurchschnitt sogar besonders eifrig: Von insgesamt 1.341 „Extremisten im Öffentlichen Dienst“ in den Ländern, die das Bundesamt registrierte, wurden allein 100 aus Bremen gemeldet, das sind über 7 Prozent. Die Bremer Bevölkerung macht aber nur einen Anteil von 1 Prozent an der Bundesbevölkerung (West) aus.
Der Grüne Vertreter im Datenschutzausschuß, Martin Thomas zu dem Fall: „Ich wußte das nicht.“ Der „Parlamentarischen Kontrollkommission“ (PKK) sei die Extremisten-Sammlung verschwiegen worden. Thomas erklärte auf Anfrage, für ihn seien noch einige Fragen offen, die er demnächst in der PKK, dem Kontrollaussschuß des Verfassungsschutzes, ansprechen wolle. Er habe den Verdacht, daß die „Schnüffelpraxis aus der Zeit der Berufsverbote“ vom Bremer Verfassungsschutz fortgesetzt worden sei. Wenn sich bestätige, daß die Behörde hier ohne gesetzliche Grundlage gearbeitet habe, sei dies als „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für den VS“ zu werten, die nur zeige, daß es sich um eine „längst überflüssige Behörde“ handele.
Thomas weiter: „Ich verlange, daß der Innensenator dieses Verfahren sofort stoppt und das Parlament über die seit Jahren unter sozialdemokratischer Führung geübte Praxis informiert“. Im Sinne des Rechtes auf „informationelle Selbstbestimmung“ müsse den Betroffenen mitgeteilt werden, daß sie vom Verfassungsschutz unrechtmäßig gespeichert wurden. Der Datenschutzbeauftragte habe den Vorgang nicht in den Datenschutzbericht aufnehmen wollen, er habe ihn aber aufgefordert, dies doch zu tun und der Öffentlichkeit gegenüber den Sachverhalt nicht zu verschweigen. K.W.
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