Der neue ASTRA rief — und alle kamen

■ Ein Blick in die Massenkultur: Wie die Zeitschrift 'Auto heute‘ aus dem Hause Adam Opel nachhaltig Bewußtsein veränderte

Während Spitzenleute der Autoindustrie heuchlerische »Umwelt«-Kampagnen gegen wuchernde Umweltschäden fahren, während die Satire-Zeitschrift 'Titanic‘ unseren Verkehrsminister mit einem Hitler-Foto und einer Abbildung verschlungener Autobahntrassen zeigt (»Zwei Männer — ein Gedanke«), während in deutschen Großstädten Hauptstraßen blockiert werden, weil ständig Kinder totgefahren werden, während also, alles in allem, das Automobil endlich als idiotisch, schädlich, pestilenzialisch erkannt wird — während all das geschieht, wird in der deutschen Provinz fröhlich und unbefangen ein neues Produkt der Autoindustrie gefeiert. Es geht um eine Gegend, die kein einsichtsfähiger Mensch je betreten hat — nicht einmal unser Autor. Es war auch nicht nötig, d. Red.

'Auto heute‘ heißt das vierfarbige Hochglanz-Faltblatt, das ich vor einigen Tagen beim Aufräumen in einem Zeitungsstapel entdeckte. Leider war die Beilage keinem Mutterblatt mehr zuzuordnen — ich würde trotzdem mal auf den 'Tagesspiegel‘ tippen, den ich gelegentlich lese, um mich zu langweilen. 'Auto heute‘ gehört zu jenen Printmedien-Produkten, die von der Industrie selbst herausgegeben werden — man spart so den lästigen Kontakt mit Anzeigen-Abteilungen und braucht auch keinen Ärger mit werbeuntauglich gestaltetem »redaktionellem Umfeld« zu fürchten. Das Aufmacher-Foto der Februar-Ausgabe zeigt gewaltig das abstoßende gelb-schwarz-weiße Signet der Firma, der man höchstens einmal Aufmerksamkeit schenkte: als die Hausbesetzer-Szene eben dieses »Logo« mit einem Pfeil ergänzte und so für kämpferische Zwecke recyceln konnte. »Opel« hat von jeher ein eher bescheidenes Image: Die kleineren Modelle sind als Proleten-Schleudern verschrien; die protzig-peinlichen Großschiffe erkennt jeder sofort als mißglückte Renommisterei von Vertreterseelen, bei denen es zu Benz oder BMW nicht gereicht hat. Gegen dieses Image gilt es zu kämpfen, und da ist jedes Mittel recht.

Nur ein einziges Mal in dem vierseitigen Prospekt ist jenes Modell zu erkennen, das zum Leidwesen der Firma wohl immer noch am berühmtesten ist: In einer geparkten Reihe vor dem wunderschönen Opel-Haus in Tempelhof steht er, in trabantenem Hellblau, bescheiden wie eine blechgewordene Entschuldigung — der Kadett. Für ihn schämt man sich offenbar auch im Hause O.: Wir sehen, auf vier großformatigen Seiten und in allen Farben des Grauens, den Frontera, den Omega, sehr putzig und bieder benamst den neuen Vectra Diamant, und, ganz besonders albern, den auch von Steffi Graf beworbenen neuen Corsa Swing in.

Ganz besonders am Herzen der Firma der ASTRA: liegt aber:

Die große ASTRA-Feier

Der schönste, nur haarscharf an der Dichtung vorbeibremsende Text des Prospekts ist eine unverhohlen entzückte Hommage an dieses Modell, er heißt, ungelogen: »So feiern wir den neuen ASTRA«.

Der neue ASTRA rief — und alle kamen. Schneidig! Man fragt sich, ob ein derart lehrbuchmäßiger, ja beseelter Einleitungssatz wirklich im Hause O. gebastelt wurde. War da nicht vielleicht doch ein Fremdautor zur Hand, ein Top-Profi, Reginald Rudorf vielleicht (»Deutschlands bester Medien-Experte«) von 'BILD‘? Am 12. Oktober habe man bei der Zweigniederlassung Berlin die Einführung dieser neuen Schachtel gefeiert, plappert es eher schmucklos- sachlich im nächsten Satz, und: das Opel-Gelände in der Tempelhofer Bessemerstraße habe sich bei dieser Gelegenheit in einen großen Festplatz verwandelt. Über 10.000 Leute waren da; und man müßte sich, wenn man die Echtberliner nicht schon vor Jahren aufgegeben hätte, ernsthaft Sorgen um die geistige Gesundheit des Tempelhofers und verwandter Stämme machen (die weibliche Form lasse ich weg, um die Frauen zu schonen — die Gattinnen der ASTRA- Idioten waren nämlich, fotografisch geoutet, recht zahlreich dabei).

Bei herrlichem Wetter und einem begeisternden Rahmenprogramm war das Vergnügen groß. »Herrliches Wetter« am 12. Oktober — nun ja.

Herrliches Wetter, großer Spaß

Wieso übrigens wird über ein solches Wahnsinnsereignis erst im Februar berichtet? Wäre das, Firma O., nicht eine Sonderausgabe von 'Auto heute‘ wert gewesen? Über das Rahmenprogramm wird übrigens verdächtig geschwiegen. Roberto Blanco? Klaus und Klaus? Tony Marshall? Oder gar Juppi von der Tempelhofer UFA-Exklave (»der einzige einigermaßen intelligente Ort in T'hof«) mit seiner neuen halsbrecherischen Hamsterdressurnummer? Wie auch immer: der Spaß — für den ich auch nach langem Nachdenken keinen Anlaß sehe als gutes Wetter im Oktober und Tausende von anderen Exemplaren der Gattung »Homo mobilis« — wurde nicht getrübt, obwohl sich bald sehr lange Schlangen vor den schönen Haremszelten bildeten. Haremszelte? Ei, ihr Schelme! Ganz gewöhnliche Schnapsbaldachine sind's! Haremszelte — ha! Das könnt ihr vielleicht den ASTRA- und Harems- und überhaupt weitgehend Opel- und damit weltunkundigen Ostlern erzählen, die Euch bei Eurem Fest die ihnen ethnotypische Sitte des Schlangebildens aufgenötigt haben!

6.000 Würstchen

Frau und Herr Röring, die für das leibliche Wohl sorgten, zählten gen Abend über 10.000 ausgeschenkte alkoholfreie Biere, 6.000 Portionen Rippchen und ebenso viele Würstchen. Natürlich kann man, wenn's denn unbedingt sein muß, »gen Abend« gehen oder dergleichen, hier ist einfach nur »gegen Abend« gemeint; aber wir wissen ja auch, daß die Sprache sich immer mehr spreizt und aufbläst, je weniger sie mitzuteilen hat. Außerdem: alkoholfreies Bier — was soll das denn? Was ist das für eine Art Automobilpräsentation, wenn hinter hinterher Herr P. aus N. nicht, wie er's gewohnt ist, hackevoll nach Haus mäandern kann, im gebrauchten Golf, den er aber, im trunkenen Schädel, nun doch womöglich gegen den neuen ASTRA einzutauschen erwägt? Rippchen und Würstchen — das ist gewiß, wie der Berliner gern sagt, wenn er keine Meinung hat, Geschmackssache.

Glückliche Berlinerberliner

Glücklich über das schöne Oktober- Fest war jedenfalls nicht nur der vom »Antiberliner« deutlich unterscheidbare Berlinerberliner, sondern auch Edgar Krake, Niederlassungsleiter der Adam Opel AG in Berlin, zeigte sich zufrieden; war es doch das größte Ereignis, das jemals in einem Tempelhofer Betrieb stattfand. Wieder so ein beinahe makelloser Satz! Syntaktische Anschlüsse mit »war es doch« sind zwar streng verboten — aber das wissen auch die meisten Journalisten nicht, warum also soll's der Anonymus beachten, der diesen Text dichtete? Natürlich mag man sich auch, rein inhaltlich, fragen, ob die Präsentation des neuen A. von O. nicht überhaupt das einzige Ereignis war, das je in Tempelhof stattfand — zumindest im kulturellen Bereich (die UFA- Fabrik haben wir ja oben schon gewissenhaft als Exklave gekennzeichnet). Das schönste jedenfalls an diesem abschließenden Satz des Aufmacher- Artikels ist zweifellos der Name Edgar Krake! Ähnliche gute Realitätspointen findet man selten; wenn etwa ein Journalist Ehrlich hieße, wäre das ja immerhin noch ironisch! Aber ein Mann, der mitleidlos und unwiderstehlich nach Geld, Gesundheit und Bewußtsein der Berlinerberliner greift und Krake heißt: Es ist zu schön!

Ein neues Automobil ist immer auch eine neue Herausforderung. Der ASTRA macht da keine Ausnahme, lesen wir im zweiten Text der ersten Seite, freuen uns über den logischen Quark der Kombination »immer auch« und »keine Ausnahme« und beschließen, das Wort Herausforderung, mit sofortiger Wirkung dem »Dummdeutsch«-Bestand zuzuschlagen und damit aus dem Wortschatz zu verbannen.

Herausforderung!

Von einem großangelegten Konstruktions- und Versuchsprogramm deliriert, nunmehr gänzlich entfesselt, der Autor; die »Aspekte« Sicherheit, Wirtschaftlichkeit, Umweltbewußtsein, Komfort und Produktionsqualität, lügt er vor lauter Frechheit fast schon wieder charmant, hätten im Vordergrund gestanden. Und was sind das für fremdartige, keinem Duden und keinem Homo sapiens vertraute Wortwucherungen: Ob als Schrägheck-Limousine, als geräumiger Club oder sportlicher GSi: stets setzt der ASTRA neue Maßstäbe in der kompakten Mittelklasse. Die wenig später auftauchende asymmetrisch teilbare, umklappbare Rücksitzbank und die zwei von innen einstellbaren Außenspiegel sind da nur noch Sahnehäubchen zur Abrundung der »Geschmackssache«. Ein Satz vielleicht noch; ich weiß nicht, von welchem Auto er handelt, und habe jetzt auch keine Lust, es nachzusehen: Mit weit heruntergezogener Heckklappe, Sportsitzen, Servolenkung, Zentralverriegelung, Dachreling, Gepäckraumabdeckung und 14-Zoll-Rädern bietet das ebenso bildschöne wie praktische Raumwunder Freizeitspaß inklusive. Inklusive was? Stufenlos regelbare, geräuschlos niederfahrende Liegesitze gar? Ich erinnere mich an meinen einzigen Versuch, in einem Automobil der Kompaktklasse Geschlechtsverkehr zu verüben. Ich trug einen bösen Wadenkrampf davon, die Fenster beschlugen in Sekundenschnelle, es war sehr sehr kalt und eng und schaurig. Das war vor vielen Jahren, in Lübeck. Sollte ich es je wieder versuchen, dann natürlich nur in Tempelhof, im neuen ASTRA mit allen Schikanen.

Fragen über Fragen

Die Ausgabe Februar 92 des Periodikums 'Auto heute‘ hat mein Bewußtsein verändert. Nicht unbedingt erweitert, aber nachhaltig berührt. Bisher kam man einigermaßen über die Runden, wenn man sich fragte »Wird Berlin aus eigener Kraft nicht Olympiastadt, oder muß ich in dieser Angelegenheit noch auf die Straße?« und »Zieht die Regierung etwa eines Tages wirklich hierher, und, wenn ja, könnte das nicht sehr lustig werden?« oder auch »Was wird aus den Steffi- Peinigern, und lernt Steffi selbst, die Liebe ihres schäbigen Vaters in die Schranken zu weisen?« Jetzt aber ist eine, nein — sind mindestens zwei bewegende Fragen dazugekommen: »Was kommt nach dem neuen ASTRA« und »Wo ist der Kadett, wer versteckt ihn, wer unterdrückt ihn?« Ich weiß keine Antworten, naturgemäß. Will ich aber kein Antiberliner sein, brauche ich sie dringend. Herr Edgar Krake, übernehmen Sie! Klaus Nothnagel

Anm. d. Red.: Am 3.1.92 schrieb Nothnagel über die »sensiblen Stadtmöblierer«, eine neue Klo- Firma. Nach der Entdeckung der Opel-Zeitschrift droht er jetzt damit, in unregelmäßiger Reihenfolge eine Serie aus derart sonderbaren Entdeckungen zu machen. Titel: »Aus der Wirklichkeit«.