Keine halbtote Lebendigkeit

■ Wo das Stadtbild zu wünschen übrigläßt (11): Schinkels St.-Elisabeth-Kirche und ihr Stadtraum/ Die Bauleiche wurde notdürftig einbalsamiert und wirkt wie ein toter Traum vergangenen Glanzes

Mitte. »Überall ist man da wahrhaft lebendig, wo man Neues schafft, überall, wo man sich ganz sicher fühlt, hat der Zustand schon etwas Verdächtiges. Dies ist schon eine halbtote Lebendigkeit.« Das Urteil Karl Friedrich Schinkels läßt sich noch heute treffend auf die Rekonstruktionswut stadtplanerischer Eiferer anwenden, die partout meinen, daß bizarre Kopien von Bauten des großen Berliner Baumeisters — etwa seine Bauakademie — als Nachschöpfungen entstehen müßten. Das Urteil wiegt um so schwerer, wenn man weiß, daß im Bezirk Mitte die vergessene Schinkel-Kirche St. Elisabeth von 1833 dem Verfall überlassen blieb und jetzt als ruinöse Bauleiche notdürftig einbalsamiert wurde. Die Kirche wirkt wie ein steinern- toter Traum vergangenen Glanzes in einem Stadtviertel, das die östlichen Planer durch Nachlässigkeit und Unvermögen abgeschabt und verschlissen, zerkleinert und aufgelöst vor sich hinsterben ließen. Die Ruine ist eine schlafende Versicherung von der Gegenwärtigkeit des Todes.

St. Elisabeth, an der hinteren Invalidenstraße, liegt leicht zurückgesetzt vom Straßenprofil, an dem heute Würstchenbuden, Baulücken und Bretterzäune als aufgeschlagene Provisorien die ästhetische Konkurrenz bilden. Dem Torso sind die klassizistische Pfeilerfront und die Dreiecksgiebel, die Seitenmauern und die halbrunde Apsis geblieben. Der Dachstuhl wurde 1945 ausgebombt. In den 60er Jahren stieß man baufällige Gesimse ins Innere, damit den Passanten keine Steine auf den Kopf fielen. Die japanische Künstlerin Kumiko Shimizu, die Töpfe, Mülltonnen und rostige Auspuffrohre an einem Gerüst befestigt hat, thematisiert in ihrer Installation derzeit die architektonischen und gesellschaftlichen Überreste vergangener Zeiten.

Das Faszinosum der Kirche, die der sparsame Berliner Klassizist Schinkel nach dem Modell einer »Normalkirche« plante, bestand seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in seiner spezifisch städtisch-bürgerlichen Konfiguration. Das Gebäude ragt nicht über das Quartier hinaus. Vor der Kirche lag ein Platz, an den sich eine Markthalle anschloß. Die umliegenden Wohnbauten und Läden, das Gemeindehaus und das Pfarramt inszenierten einen Stadtraum, der eine schlichte Verbindung zwischen profaner und sakraler Welt herstellte.

Es kann keine Frage sein, daß mit der Kirche das räumliche Gefüge wiederhergestellt werden muß; doch nicht als lückenlose, Alt und Neu amalgierende Bauwelt: Vorgefertigter Klassizismus erscheint da ebenso schablonenhaft wie die »Platte« und entspräche der Rückkehr ins steinerne Berlin aus seriellem Historismus. Mit einer modernen Rekonstruktion — die die Spannung zwischen zeitgenössischer und alter Bausubstanz thematisiert — und im räumlichen Dialog zum lebendigen Quartier entstünde ein neuer baulicher Zeitmesser, der keine halbtote Lebendigkeit wiederbelebt. Rolf R. Lautenschläger