Wenn der PC nach einer Schraube sucht

Die Computerbranche läßt auf der CeBIT einen neuen Heißluftballon steigen: „Multimedia“ ist das alles beherrschende Messethema/ Bunte Bilder und Grafiken flimmern über den Computerschirm  ■ Aus Hannover Frank Holzkamp

Auf der CeBIT '92 reden alle, nein, nicht vom Wetter, auch wenn der Schneeregen den Messebummel vergällt. Das Thema der Messe heißt „Multimedia“, ein sprachlicher Heißluftballon, der die Welt verändern soll, zumindest die des elektronischen Kommunizierens. Dabei ist die Definition von Multimedia eher vage, klar scheint nur, daß die Verarbeitung von Texten, Grafiken, Tönen und Bewegtbildern in einem PC gemeint ist. Und: Der User soll sich mittels Bildschirmmenü „interaktiv“ nur das herauspicken, was ihn auch wirklich interessiert. Das Etikett Multimedia prangt ebenso auf Billigsystemen wie auf teuren High- End-Maschinen mit höchster Grafikauflösung und Tonverarbeitung in HiFi-Qualität.

Bei genauem Hinsehen scheint Multimedia im Moment vor allem eines zu sein: Marketing. „Wir verwenden den Begriff intern schon nicht mehr so gerne“, sagt Armin Günther von der Münchner FAST GmbH. Er fürchtet den sprachlichen Overkill. Dabei gehört die Firma zu den Vorreitern der bundesdeutschen Multimedia-Szene. FASTs „Screenmachine“ bringt ein beliebiges Videobild auf den Monitor. Von dort läßt es sich — als Schnappschuß — im Computer abspeichern.

Wozu das gut ist? „Ein Beispiel wäre die Firma, die 50.000 verschiedene Schrauben auf Lager hat und eine Datenbank mit Bildern anlegen will. Das klingt natürlich im ersten Moment recht unspannend und wenig multimedial“, räumt Armin Günther ein. Viel mehr ist mit heutiger PC-Hardware nicht drin — die Speicherung von Bewegtbildern frißt Unmengen an Rechnerleistung und Speicherkapazität. Um so erstaunlicher, daß sich schon simple IBM-Kompatible mit wenig Speicher und winziger Festplatte „Multi- Media-PC“ nennen dürfen.

Es ist noch ein weiter Weg bis zum „Knowledge Navigator“, wie Apple-Boß John Sculley seine Vision vom Multimedia-PC taufte. Ein tragbares Gerät, das gesprochene Anweisungen entgegennimmt, per Funk aus den Datenbanken in aller Welt Informationen saugt und sämtliche elektronischen Medien integriert. Den AnwenderInnen soll so ein Stück informationelles Selbstbestimmungsrecht zurückgegeben werden, indem ihnen der PC einen Weg durch den Datendschungel schlägt. Auf dem Apple-Messestand sind allerdings eher bodenständige Anwendungen wie multimediale Lernprogramme für Mediziner oder eine Episode aus der „Geschichte des Potsdamer Platzes“ zu sehen. Dabei steht es den BenutzerInnen frei, zu jeder gebotenen Information, ob nun Text oder Bild, weiteres Wissen anzufordern und sich so in den Stoff zu vertiefen — wenn sie, und das ist der Haken, auf CD-ROM gespeichert ist. Die silbernen Scheiben, die wie gewöhnliche Musik-CDs aussehen, sollen mit ihrer hohen Speicherkapazität dafür sorgen, daß Multimedia bis in das heimische Wohnzimmer vordringt.

Darauf scheint zumindest der Anbieter von „Windows für Multi-Media“ zu setzen. Das Programm ist eine Erweiterung für die weitverbreitete Benutzeroberfäche für IBM- kompatible PCs. Wenig mehr als ein CD-ROM-Laufwerk und eine „Soundblaster-Karte“ für den guten Ton, so das Versprechen, sind nötig, um sich die bunte Vielfalt auf den interaktiven PC-Bildschirm zu holen.

Um so größer die Enttäuschung bei der CeBIT-Vorführung. Eine Art digitalen Reiseführer durch die USA gibt es zu sehen, dessen eingescannte Fotos aus dem Off kommentiert werden. Daß der Nebel über der Golden Gate Bridge Smog ist, könnte man sich auch so denken. Für Kinder wird ein süßlich-verkitschtes Märchen, Sleeping Beauty, angeboten. Zum Text erscheinen ein paar Grafiken und verrauschte Märchenmusik. Gestreßte Eltern können immerhin einen Vorlesemodus einschalten. „Compton's Multi-Media Encyclopedia“ funktioniert gerade nicht. Und eine CD mit dem Titel Desert Storm ist zwar ausgestellt, zur Vorführung kam sie aber, vermutlich aus Pietätsgründen, nicht.

Die CD-ROM scheint ein ideales Medium für multimediales Infotainment nach US-amerikanischem Geschmack zu sein: hier ein Bildchen, da ein Tönchen, aber bloß nicht zuviel Text. „Es gibt schon böse Stimmen, die sagen: Die Amerikaner können nicht richtig lesen und schreiben, die brauchen eben Bilder“, so ein bundesdeutscher Hersteller.

Beim Vertreiber des Edel-Rechners „Next“ hält man sich in Sachen Multimedia zurück. „Das ist wie mit der künstlichen Intelligenz vor fünf Jahren, davon reden heute auch nur noch wenige. Durchsetzen wird sich, was gebraucht wird, und sonst nichts“, ist sich Peter Lipps, bei Next für Software zuständig, sicher. Hauptanwendungen der Multimedia-PCs werden vorläufig Schulungen, Firmenpräsentationen und — wie man sich auf der CeBIT an jedem zweiten Stand überzeugen kann — Reklame bleiben.

Sollten entsprechend leistungsfähige Rechner und Programme auch für den Hausgebrauch verfügbar werden, sieht Peter Lipps keine Akzeptanzprobleme: „Das ist wie mit Coca-Cola. Alles Amerikanische setzt sich durch.“