INTERVIEW: Es ist kaum noch möglich, legal nach Europa zu kommen
■ Christa Weber, Mitarbeiterin der „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ (agisra), zum Verbot des Menschenhandels
taz: Laut BKA ist der Menschenhandel eine Wachstumsbranche. Die Bundespolizei moniert, daß der alte Menschenhandelsparagraph im Strafgesetzbuch den Straftatbestand des Menschenhandels auf die Verschleppung von Frauen und den damit verbundenen Zwang zur Prostitution reduziert, der Gesamtkomplex aber inzwischen facettenreicher geworden sei. Deckt sich das mit euren Erfahrungen?
Christa Weber: Der Menschenhandel ist in der Tat eine Wachstumsbranche. Das hängt natürlich mit der zunehmenden Verelendung vor allem in den Ländern der sogenannten Dritten Welt zusammen. Und es hängt damit zusammen, daß sich die Bedingungen, überhaupt nach Europa reinzukommen, in den letzten Jahren extrem verschärft haben. Das heißt, daß die Frauen, die, aus welchen Gründen auch immer, hierher kommen wollen, letztendlich auf die kriminellen Schlepperbanden angewiesen sind. Das ist der Hauptknackpunkt. Auch wir begrüßen es, daß der alte Menschenhandelsparagraph 181 des Strafgesetzbuches in die Diskussion geraten ist, denn in seiner existierenden Form wird er der ausufernden Problematik nicht mehr gerecht. Es gibt Reformvorschläge aus Nordrhein-Westfalen und aus Bayern. Auch wenn der NRW-Vorschlag von einer sehr bemühten Frauenministerin eingebracht wurde, halten wir beide Entwürfe für total unzureichend.
Was schlägt „agisra“ in diesem Zusammenhang vor?
Die gesamte Problematik etwa der illegalen Hausmädchen oder der Frauen, die in die Ehe gehandelt werden, wurde bislang ausgeklammert. Für diese Frauen, und mehr noch für die Frauen, die in die Prostitution gehandelt wurden, gilt, daß sie nur dann unter Schutz stehen, wenn sie nachweisen können, daß sie nicht schon in ihren Heimatländern der Prostitution nachgegangen sind. Das läuft nach dem Motto ab: Die hat ja schon zu Hause die Beine breit gemacht. Da kann sie hier nicht dazu gezwungen worden sein. Diese bislang gängige Auffassung hat fatale Folgen für die Frauen, denen bei der Anwerbung natürlich kein Vermittler sagt, welchen generellen Bedingungen und vor allem welchen rechtlichen Bedingungen sie hier unterworfen sind. Für optimal würden wir es erachten, wenn der Straftatbestand des Menschenhandels bereits dann erfüllt ist, wenn den Frauen falsche Tatsachen vorgespiegelt wurden, wenn sie mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt wurden. Außerdem muß das Ausländergesetz dahingehend geändert werden, daß Frauen, die gegen Menschenhändlerringe aussagen wollen, ein Bleiberecht zuerkannt bekommen und unter Zeugenschutz genommen werden.
Ihr wehrt euch auch dagegen, daß die Frauen in der veröffentlichten Meinung immer nur als Opfer dargestellt werden...
Man muß sich darüber im klaren sein, daß viele der Frauen wissen, worauf sie sich einlassen. Bei den von uns betreuten Kolumbianerinnen etwa ist es so, daß die in 99 Prozent der Fälle vorher wußten, daß sie in Deutschland als Prostituierte arbeiten müssen. Was sie nicht wußten war, daß sie hier unter den Bedingungen der Illegalität arbeiten müssen oder daß die Mieten in den Bordellen extrem hoch sind. Viele Frauen aus Kolumbien reisen auch selbständig nach Europa ein — ohne Schlepperkontakte. Schlepperbanden und Vermittler kommen vor allem in Osteuropa zum Zuge, weil dort — nach den Jahrzehnten der Isolation — keine traditionellen Kontakte zwischen den Frauen existieren wie etwa bei den Kolumbianerinnen hier und ihren ausreisewilligen Freundinnen in der Heimat. Fakt ist dennoch, daß viele Frauen — vor allem unter den Prostituierten — ganz bewußt hierher kommen, um ihre elende Lebenssituation zu verbessern und um vor allem ihre Kinder durchzubringen. Oft sind die in die Ehe gehandelten Frauen, die mit ganz anderen Vorstellungen kamen, weitaus schlimmeren Pressionen bis hin zu permanenten Vergewaltigungen ausgesetzt. Aber Vergewaltigung in der Ehe ist ja ohnehin nicht strafbar.
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