„Kein Bock mehr auf Geheimdienst“

■ On tour: Jochen Girke, Ex-Stasi-Offizier und Dozent für „operative Psychologie“

Schattenbild

Die Stasi...

Ein Mann um die vierzig. Ein sympathisches Gesicht, Augen, denen man ansieht, daß sie lachen können, die kurzen dunklen Haare von Silberfäden durchwirkt. Sieht so ein Täter aus? Ist das die Fratze der Krake Staatssicherheit? Jochen Girke ist Mitglied im Landesvorstand der brandenburgischen PDS. Bis zum Kollaps der DDR war er Offizier der Staatssicherheit. Jochen Girke hat an der Stasi-Hochschule gelehrt, als Dozent für „operative Psychologie“. Er erzählt: „Da ging es um Grundbegriffe und dann um die Fragen: Wie kann ich ein Vertrauensverhältnis herstellen und Menschen für die Zwecke der Firma aufschließen? Wie kann ich ihre Einstellungen beeinflussen?“

DAS SCHWEIGEN GEBROCHEN „Ich bin einer von denen“

Jochen Girke hat sein Schweigen gebrochen. Bei der diesjährigen Berlinale erregte ein filmisches Portrait über ihn großes Aufsehen. Er ist einer der wenigen, die zu sprechen begonnen haben. Als Jürgen Fuchs im Februar 1990 aus den Gedächtnisprotokollen seiner Haftzeit bei der Staatssicherheit las, ist Jochen Girke aufgestanden und hat in den Saal gerufen: „Ich bin einer von denen, die Sie da beschreiben; aber mit uns spricht ja keiner.“ Girke saß vergangene Woche in der Oldenburger Kulturetage und erzählte — manches Mal eher unsicher sich vorwärts formulierend, wenn die Sprache den sicheren Tritt zu verlieren drohte, oft in der Gefahr, in Routine zu verfallen.

Etwa 40 ZuhörerInnen mögen es gewesen sein, die unter dem Titel „Aufarbeiten, nicht abrechnen“ zusammengekommen waren. Auf die eher matte Ankündigung Oldenburger Linken Liste hin war ein sehr intimer Kreis erschienen. Diejenigen, die sich zu Wort meldeten, versprühten manches Mal den zweifelhaften Charme der letzten Aufrechten. Verbissen hielten sie an den Zipfeln einer zerfallenen Identität fest. Wenn sich die Nägel in den Handteller bohren, bleibt oft ge

...ist eine Firma,...

nug nur noch die Einigkeit im Dagegensein. „Haßkampagnen“ oder „Siegerjustiz“ — Losungen, die einmal in den Raum geschleudert, sofort mit beifälligem Gemurmel aufgenommen wurden. Wo solch wichtige Identitätsmerkmale auf dem Spiele stehen, da bricht die Bearbeitung. In solchen Momenten schweigt Girke, bläst eher zaghaft in dasselbe Horn.

„In der PDS haben sich Leute gesammelt, die genauso Außenseiter sind wie ich“, sagt er wie zur Erklärung. „Woanders hätte ich mich nicht zurecht gefunden.“ Und als er erklärt, Stasi und RAF hätten in der Zeit der Kontakte festgestellt, daß sie doch etwas Gemeinsames hätten: den Antikapitalismus, da war es, als hätte er beschrieben, was die Oldenburger Gemeinde an diesem Abend zusammenhielt.

...die vornehmlich...

Auf dem Podium neben ihm saß Jutta Braband. Als DDR-Oppositionelle ist sie auf der Linken Liste/PDS in den Bundestag eingezogen und nun kurz davor, ihr Mandat zurückzugeben. Zu unüberbrückbar seien die Differenzen in der Bonner Bundestagsgruppe. Jutta Braband hat unter der Stasi gelitten. In den letzten 14 Jahren der DDR gehörte sie zu den beliebtesten Objekten der „Firma“.

Jutta Braband hat vor 16 Jahren noch selbst für die Stasi gearbeitet. Wie viele IMs hatte sie in jungen Jahren eine Verpflichtungserklärung unterschrieben. Wie viele IMs hat auch sie erst zu reden begonnen, als die Geschichte aufflog. Sie habe es nicht mehr gewußt, sagt sie. „Nachdem ich damit aufgehört hatte, habe ich mir ein Leben zurechtgelegt, in dem diese Geschichte keinen Platz hatte.“ Und später erzählt sie, daß ihr Führungsoffizier gut präpariert gewesen sei. Ihre Mutter habe ihm Einblick in das Tagebuch der Tochter gewährt. „Ich bin ganz früh von zuhause weggezogen, und da war es für meine Mutter eine Gelegenheit, wieder Macht über mich zu bekommen.“ Sieht so eine Täterin aus? Oder ist sie etwa Opfer? Sie spielt mit dieser Vergangenheit. Sie spricht lange und viel davon, daß die Menschen vor dem Hintergrund ihrer damaligen Situation beurteilt werden müßten. Doch so sehr sie auch davon spricht, daß nun die Zeit der unbequemen Fragen gekommen sei: die Worte bleiben merkwürdig flach. Im Geplauder verschwimmen die scharfen Konturen. An ihrer politikerhaften Beredtsamkeit prallt offene Kritik ab, wie das Wasser am Entengefieder. Jede Annäherung wird mit einer Abwehrsequenz unterbunden.

Das trifft die Grundstimmung der meisten ZuhörerInnen. Immer wieder kreisen die nach Entlastung suchenden Fragen um den Begriff der Vergleichbarkeit. „Faschismus, das wäre gewesen, wenn die Stasi die ganze Familie Biermann ausgerottet hätte“, ruft einer in den Raum. „Und die Bespitzelung bei uns im Westen, die Berufsverbote — die Geheimdienste machen doch alle dasselbe. Bei uns weiß man's nur nicht“, ein anderer. Jochen Girke erzählt, daß die Stasi sehr eigenwillige Kategorien für die Bürger hatte: brave und loyale Bürger, Irregeleitete, Schwankende und Feinde. Da ruft eine Zuhörerin: „Das hab ich alles im Religionsunterricht gelernt.“

...im Dunkeln bleibt.

Jochen Girke sitzt unter den Westlinken und hat Mühe, sich in diese Art der Diskussion einzuklinken. Ihm scheint die qualvolle Suche nach dem menschlichen Maß keine dahergeplapperte Phrase. Auch wenn der Zweifel bleibt, ob diese Bearbeitung nicht schon bald unter die Räder der Partei kommt, daß er die Öffentlichkeit sucht, ist ihm hoch anzurechnen. Daß er dabei verzweifelt gerne Entlastendes finden möchte, ist nicht mehr als menschlich. Eines glaubt man ihm aufs Wort: „Auf Geheimdienst hab ich keinen Bock mehr.“

Jochen Grabler