: AUTOHOLIKER UND ALKOMOBILISTEN Von Mathias Bröckers
Joschka Fischers legendäres Diktum, daß es sich bei den Volksvertretern des Bundestags um eine „unglaubliche Alkoholikerversammlung“ handelt, scheint sich derzeit einmal mehr zu bestätigen. Da ist zum einen die wieder aufgeflammte Diskussion um vier Millionen Konsumenten der Soft-Droge Marihuana, für deren Kriminalisierung einer parteiübergreifenden Trinker-Koalition nach wie vor keine Stammtisch-Parole zu plump ist, und da ist zum anderen die anstehende Debatte um die 0,5-Promille-Grenze, die sich quasi zur nationalen Frage auswächst. „Nüchtern betrachtet“, notiert der 'Spiegel‘, sei in der derzeitigen Regierungskoalition keine Mehrheit dafür zu erwarten. Wie kommt es, daß eine lebensrettende Gesetzes-Maßnahme wie die, für klaren Kopf am Steuer zu sorgen, keine Mehrheit findet? Zwar hat die Lobby der Alkoholindustrie noch kein Gutachten vorgelegt, nach dem das Fahren mit 0,5 Promille gefährlicher ist als mit 0,8, aber wie der ADAC in der Tempo-Debatte ja immer wieder „beweist“, kann auch ein Auto mit 30 km/h gemeingefährlicher als eines mit 50 sein — und was für den Gasfuß statistisch billig ist, sollte doch auch für die Suffnase noch machbar sein. Auf neue Experten-Statements jedenfalls dürfen wir gespannt sein, die Schlangelinien deuten sich schon an: Bis 0,8 droht, laut ADAC, „kein größeres Gefahrenpotential“, die FDP will „unser bisheriges System“ behalten, und die CDU hat in 0,8 einen „bewährten Wert“ entdeckt, den es zu verteidigen gilt. Wenn die CSU sturzbetroffen aufjault, ist das nur zu verständlich: Sie hält bekanntlich (von Wiesheu abwärts) in der Alkohol/Unfall- Statistik deutscher Politiker den Spitzenplatz. Daß nun ausgerechnet eine derart alkomobilistische Vereinigung im „Keine Macht den Drogen“- Kampf an vorderster ideologischer Front steht, bringt nicht nur die finstere Doppelmoral des Drogenkriegs auf den Punkt — es weist auch der Debatte um das „Recht auf Rausch“ die Richtung: weg von dem in der Nutzen/Schaden-Relation nachgerade lächerlich harmlosen Cannabis- Rausch, hin zu der weitaus bedrohlicheren Rauschrealität einer vom Kinder- bis zum Chefzimmer, von der Aschen- bis zur Autobahn durch und durch gedopten Hochleistungs- Gesellschaft, deren öffentliche Ordnung ohne Schlaftabletten und Wachmacher, ohne Alkohol und Drogen auf der Stelle zusammenbrechen würde. In der Promille-Frage kulminieren zwei Lebenselixire der Deutschen — Alkohol und Auto, Weinseligkeit und Geschwindigkeitsrausch. Wie dem Alkohol fallen auch dem Automobil-Mißbrauch jährlich Tausende zum Opfer— dennoch kann es nur ein paar Puristen einfallen, auch nur die völlig freizügige Werbung für die PS- Dröhnung und die kaum eingeschränkte für den Promille-Rausch zu verbieten. Die Differenziertheit aber, mit der jetzt über multitoxikomane Autoholiker und den Grad ihrer Zurechnungsfähigkeit anhand feinster Promille-Grenzen diskutiert wird, müßte auf die gesamte Diskussion um das „Recht auf Rausch“ übertragen werden. Um so von einem irrationalen Krieg gegen einen Sündenbock Rauschgift zu einer Kultur im Umgang mit dem Rausch zu kommen. Einer Rauschkultur, in der Geschwindigkeit ebenso als Droge gilt wie Alkohol und die Kombination von BMW und Bier als nur in allerfeinster Dosierung verträglicher Cocktail. Gegen einen späten Zecher, der mit 1,2 Promille und 10km/h nach Hause schleicht, ist ja auch kaum was einzuwenden...
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