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Portugal wirft „illegale Einwanderer“ raus

■ Rund 50.000 Brasilianer, Mosambikaner und Angolaner betroffen/ Bedingung des Schengener Abkommens

Berlin (taz) — „Nirgends tritt die Dritte Welt selbstverständlicher auf, als die Portugiesen es ihr hier erlauben.“ So erlebte der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger vor einigen Jahren Lissabon. Nun muß seine euphorische Beschreibung der letzten offenen Stadt im Westen Europas in die Vergangenheit übersetzt werden: Die Regierung in Lissabon will die Grenzen dichtmachen. Einwanderern, die sich ohne staatliche Genehmigung im Land aufhalten, droht die Ausweisung. Rund 50.000 Menschen sind davon betroffen — die meisten von ihnen stammen aus Ländern des einstmals riesigen portugiesischen Imperiums, das von Brasilien über Angola bis Mosambik reichte.

Der liberalkonservative Ministerpräsident Anibal Cavaco Silva, dessen Sozialdemokratische Partei (PSD) im Parlament über die absolute Mehrheit verfügt, will in der kommenden Woche einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Danach sollen nur noch diejenigen „illegalen Einwanderer“ im Land bleiben dürfen, die vor dem 1. Juni 1986 ins Land gekommen sind.

Viele der Afrikaner, die jetzt ausgewiesen werden sollen, kamen einst als „Einheimische“ ins Land: Bis zur Dekolonisierung im Jahr 1975 galten die Einwohner Angolas und Mosambiks offiziell als „Portugiesen“. Auch nach der Nelkenrevolution von 1973 wurden sie in Portugal ohne besondere Formalitäten aufgenommen, sie mußten lediglich Pässe ihrer Herkunftsländer nachweisen. Gegenüber seinen Ex-Kolonien erlaubte sich das neue Portugal keine restriktive Einwanderungspolitik.

Seit einigen Jahren deutete sich jedoch eine Wende in der Politik Lissabons an. Die Abkehr von den alten Kolonien ging einher mit einer Annäherung des südwesteuropäischen Landes an die Europäische Gemeinschaft und an das Schengener Abkommen, das eine vollständige Abschaffung der Grenzkontrollen zwischen den Unterzeichnerländern vorsieht. Vergeblich versuchten Portugal und Spanien, Sonderbedingungen im Rahmen des Schengener Abkommens auszuhandeln. Sie wollten vor allem Lateinamerikaner von dem allgemeinen Visumzwang für die Dritte Welt ausnehmen. Gegen die Befürchtungen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs, die Immigranten würden den Wegfall der Personenkontrollen nutzen, um nach Mitteleuropa zu gelangen, konnten sie sich jedoch nicht durchsetzen: Am 25. Juni vergangenen Jahres unterzeichneten Portugal und Spanien im Bonner Bundeskanzleramt das Schengener Abkommen in seiner ursprünglich vorgesehen Fassung.

Mit dem offenen Land ist es seither vorbei. Portugal muß jetzt seine Grenzen verstärkt gegen illegale Einwanderer sichern: Es muß die Seepatroullien ebenso verstärken wie die Kontrollen an den Flughäfen. Das Nachbarland Spanien hat diesen Schritt bereits im vergangenen Jahr getan. Seither mehren sich die Berichte über Menschen, die bei dem Versuch, bei Nacht und Nebel über die Meerenge von Gibraltar nach Spanien überzusetzen, ums Leben kommen. Dorothea Hahn

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