Yamamoto, ich komme!

■ Modestudenten haben die Qual der Wahl: Entweder gehen sie mit dem eigenen Laden pleite, unterwerfen sich der Industrie, oder sie studieren etwas Vernünftiges...

Modestudenten haben die Qual der Wahl: Entweder gehen sie mit dem eigenen Laden pleite, unterwerfen sich der Industrie, oder sie studieren etwas Vernünftiges. ANJA SEELIGER lauschte ihrem Klagen.

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as kreative junge Talent hat den Abschluß an einer der fünf Berliner Modeschulen geschafft. Schön. Und dann? Das Diplom in der Tasche, den Kopf voller Flausen und die Fahrkarte nach Paris, London oder Mailand in der verschwitzten Hand, stürzt es mit einem fanatischen „Yamamoto, ich komme!“- Aufschrei ins Atelier eines Designergenies, der ob dieses begeisternden Ungestüms nur noch sprachlos nicken kann.

Fleischerschürzen als Nachwuchsförderung

Das ist natürlich blutiges Laiengeschwätz. Wer nicht gerade gewillt ist, zwecks Eröffnung eines eigenen Ateliers seine Großmutter durch einen gutgezielten Schlag auf den Hinterkopf frühzeitig zu beerben, dem winkt in der Regel nur die deutsche Industrie. Das heißt, winken ist eine maßlose Übertreibung: sie läßt gnädig antreten. „Ein krasses Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage“, wie es Petra Fladenhofer, Pressesprecherin der Firma Pabst formuliert, ermöglicht es den deutschen Konfektionären, sich gemütlich im Sessel zurückzulehnen, während eine endlose Reihe flehender Bewerber an ihnen vorbeidefiliert.

Wie grundsätzlich diese Haltung dem Nachwuchs gegenüber ist, mußten Studenten des Lette-Vereins und der Hochschule der Künste (HdK) feststellen, die in den letzten Wochen versuchten, für eine eigene Modenschau Geld bei der Industrie lockerzumachen. Die Firmen, wie zum Beispiel Umlauf & Klein oder Pabst, konnten es kaum fassen: „Nachwuchsförderung finden wir klasse, aber warum wir?“ Ja, wer den sonst? Vielleicht die Fleischerinnung? Als Sponsoren halfen schließlich Zigaretten- und Jeansfirmen aus und — der Fleischerinnung. Sie schenkte einem dankbaren Lette-Schüler mehrere berufstypische Schürzen.

Etwa hundert Berliner Modestudenten suchen jedes Jahr einen Job. Die meisten Abgänge hat die Modeschule des privaten Lette-Vereins zu verzeichnen: sechzig Schüler pro Jahr. Zehn verlassen jährlich die HdK, drei die Privatschule Accademia Italiana — die sich allerdings auf fünfzehn steigern will —, fünf Studenten entläßt die Kunsthochschule in Weißensee, zehn der Bereich für Modedesign in Friedrichshain. Und schließlich bildet auch noch die Staatliche Fachschule für Bekleidungsgestaltung und -technik in Kreuzberg jährlich 20 bis 25 Bekleidungsgestalter aus.

„Etwa fünf landen schließlich in der Mode“, schätzt die Lette-Schülerin Jutta Osthues. Die meisten studierten anschließend etwas Vernünftiges. Wie zum Beispiel Betriebswirtschaft. Die zwei Ostberliner Schulen können noch keine Angaben machen, wer wo später arbeitet. Beide sind zur Zeit damit beschäftigt, ihren Lehrplan umzustellen und Kontakte zur Industrie anzuknüpfen. Ellen Jordan-Hellmuthhäuser, Professorin an der HdK, meint, daß etwa acht ihrer Studenten unterkommen. Wobei „unterkommen“ auch die Arbeit in einer Werbeagentur oder einem Styling-Büro einschließt. Die Modeindustrie in Deutschland stellt mit etwa 13 Milliarden Mark Umsatz einen nicht ganz unbeträchtlichen Wirtschaftsfaktor dar. 1988 gab es in der Bundesrepublik 2.190 Betriebe. Brauchen die etwa keine Designer?

Kopieren ist in der Modebranche normal

Jutta Osthues ist überzeugt, daß die Lette-Schüler nicht genügend auf die Industrie vorbereitet werden. „Niemand stellt konkrete Aufgaben. Zum Beispiel: Entwerft eine Winterkollektion für die Zielgruppe X der Firma Y. Dabei wird so in der Industrie gearbeitet.“

In der HdK ist das anders. Das Erstellen einer „Trendkollektion“ umfaßt laut Lehrplan: Trendprognose, Planungsmethode, Zielgruppenanalyse, Bekleidung im Verkauf, zeichnerische Darstellung und Industrieschnitt. Die Ausbildung an der HdK ist ein ziemlicher Rundumschlag. Die Finessen betrieblicher Kalkulation können ebenso erlernt werden wie Schnittgestaltung und Fertigung. Wer seine Entwürfe zu diskutieren wünscht, kann sich vertrauensvoll an Wolfgang Joop wenden und wem das alles nicht genügt, besucht eine Veranstaltung, die den Einfluß der Architektur auf die Mode in Deutschland beleuchtet.

Und wozu war das jetzt alles gut? mag sich mancher Jungdesigner fragen, wenn er in seinem ersten Job die Geschäfte abklappert und Kleidungsstücke kauft, die die führende Directrice anschließend mit Feuereifer auseinandernimmt, um den Schnitt zu kopieren. Nicht, daß dies etwas Schlechtes wäre. Kopieren ist in der Branche so natürlich wie Füttern im Zoo. Außerdem hat es für den Verbraucher den Vorteil, daß er bei Woolworth gelegentlich Hemden erstehen kann die preiswert und nicht unflott geschnitten sind.Die eigentliche Arbeit des Designers liegt dann in der kreativen Umgestaltung des Details: V- statt rundem Ausschnitt. Obwohl es wahrscheinlich nicht diese Arbeit ist, die ein Student vor Augen hat, wenn er sich für den Kurs „Die Bedeutung des Bauhauses für die Mode“ einschreibt.

In der Praxis lautet das größte Problem: „Die Firmenphilosophie übernehmen und die Balance finden zwischen eigener Kreativität und dem, was sich verkaufen läßt“, beschreibt Jordan-Hellmuthhäuser ihre eigenen Erfahrungen in der Industrie. Manche können es, andere nicht. Trotzdem ist sie unbedingt dafür, daß der Nachwuchs ein paar Jahre lang in der Industrie arbeitet: „Man muß sich die ersten Beulen nicht unbedingt im eigenen Laden holen.“

Alter Geheimtip: Heiraten Sie den Chef!

„Deutsche Mode wird gekauft, weil sie tragbar, gut gearbeitet und vor allem pünktlich geliefert wird“, zitierte kürzlich eine Modezeitschrift einen US-amerikanischen Einkäufer. Weniger höflich heißt das: etwas uninspiriert, aber die Nähte platzen nicht auf, sobald man versucht sich zu setzen. Braucht man dazu ein Modedesign-Studium?

Es gibt andere Möglichkeiten. Ein guter Weg, in Deutschland eine führende Stelle im Entwurf einzunehmen, ist die Heirat des Chefs. So geschehen bei Pabst, Strenesse und Escada. Wie im Märchen angelte sich die Schneiderin — wahlweise das Hausmodel — den Boß und übernahm anschließend den Entwurf, während er sich dem Kaufmännischen widmete. Heterosexuelle Männer können so was besser. Es darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, daß alle drei Firmen ausgezeichnet verkaufen. Als hätte Beuys den frischangetrauten Ehefrauen im Schlaf zugeflüstert: Jeder ist ein Künstler.

Die deutsche Modeindustrie besteht zu etwa 80 Prozent aus klein- und mittelständischen Unternehmen, was sich manchmal fatal auf die Trennung zwischen der wirtschaftlichen und der kreativen Abteilung auswirkt. Eine ehemalige Modedesign- Studentin beschreibt ihre Erfahrung in der Industrie: „Wir entwerfen, und dann rennt der Chef da durch und fertigt die Entwürfe mit den Worten ab: ,Das verkauft sich nicht, das verkauft sich nicht!‘“ Das eigentlich Frustierende sei nicht, daß von hundert Entwürfen vielleicht fünf genommen werden, sondern „daß ein Kaufmann ins künstlerische Geschehen eingreift, nur weil er der Boß ist: Die sagen dir glatt: ,Gelb ist unsere neue Farbe. Meine Frau hatte neulich auf einer Gartenparty ein gelbes Kleid von Strescada an, und das sah sehr schick aus.‘“

Mode: Kunst oder Wirtschaft

Das Umwerfende dabei ist, daß solche Chefs tatsächlich außerordentliche Gewinne machen. „Irgendwann hält man den Mund, wenn man merkt, daß der Kerl mit seinen gräßlichen Ideen tatsächlich erfolgreich ist“, sagt Jordan-Hellmuthhäuser. 13 Milliarden Mark Umsatz jährlich können kein Irrtum sein.

Der Mode als gewöhnlichem Bestandteil der Kultur mißtrauen jedoch nicht nur die Unternehmer. Auch Jungdesigner haben ein merkwürdiges Verhältnis zu ihrer Profession. Mode allein genügt nie. Jedenfalls nicht in Berlin. Keine Modenschau, die ohne irgendein überflüssiges Performance-Spektakel auskommt. Mode pur scheint auch dem Nachwuchs suspekt zu sein. Eine Teilnehmerin berichtet von der letzten „Ave“, daß sie an ihrem Stand kaum etwas verkauft habe, weil „andauernd das Licht ausging, damit die nächste Performance über die Bühne gehen konnte“. Unmöglich, sich einfach nur zwei Stunden Mode anzusehen, und das war's dann. Unter einem Multimedia-Ereignis tut es hier niemand. Entweder Kunst oder Wirtschaft. Und wozu braucht man nun ein Modedesign-Studium?