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VOLK OHNE WELT-RAUM Von Mathias Bröckers

Der Nutzen der Weltraumfahrt wird derzeit wieder einmal schwer in Frage gestellt: Statt für Millionen von Mark einen Fladen samt Sauerbraten ins All, könne man auch gleich Kuhscheiße aufs Dach befördern, so, etwas zugespitzt, die Kritik an der überflüssigen Raumfahrerei. Zwar machen solche Rechnereien generell wenig Sinn — solange ein gigantischer Militär-Etat existiert, kann über öffentliche Kosten/Nutzen-Verhältnisse ernsthaft gar nicht diskutiert werden —, dennoch sind die Argumente der Mahner nicht aus der Luft gegriffen: Bezogen auf den Alltag bleibt, außer lächerlichen Teflon-Pfannen und Wetterjacken aus Sondermüll, in der Tat wenig, was für die Weltraumforschung zu sprechen scheint. Und ist nicht die Qualifizierung von Arbeitslosen in Ostdeutschland wichtiger als der Aufbruch ins All? Sicher, aber die Fütterung äthiopischer Babies ist auch wichtiger als die Umschulung verfetteter Westeuropäer. Mit Rechenexempeln läßt sich die Frage nach dem Sinn der Raumfahrt heute genausowenig beantworten wie vor 500 Jahren die nach dem Sinn der Expeditionen des Columbus. Wenn man ihm damals das Reisen besser hätte verbieten sollen, dann nicht wegen der Kosten, sondern wegen des Terrors, mit dem der weiße Mann die Neue Welt überzog.

Eine Gefahr, die bei der Weltraumfahrt nicht besteht — auf technologisch unterlegene Intelligenz zu stoßen, dürfte in diesem Universum ziemlich unmöglich sein. Wenn die Flüge der Columbia heute als überflüssig kritisiert werden, dann deswegen, weil im Weltraum nichts zu holen ist — weder Inka-Gold noch Tabak, Kaffee oder Kartoffeln, und auch keine Sklaven. Ich weiß, daß die Raumfahrt-Befürworter hier widersprechen und auf die langfristigen Möglichkeiten von Fabriken und Solarkraftwerken im All verweisen. Aber selbst wenn demnächst das Ozonloch von außen zu stopfen ist, Greepeace-Astronauten mit orbitalen Schlauchbooten den Job übernehmen und plötzlich alles vom Segen der Raumfahrt überzeugt wäre — ihr Sinn geht über derart profane Nützlichkeitserwägungen hinaus. Der Apollo-Astronaut Alfred Worden hat es vom Mond aus so ausgedrückt: „Jetzt weiß ich, warum ich hier bin, nicht um mir den Mond genauer anzuschauen, sondern um den Blick zurückzuwerfen auf die Erde.“ Und Rusty Schweikart, wegen eines Defekts in der Apollo-Kapsel freischwebend im All zu zweiminütiger Arbeitslosigkeit verdonnert, fragte sich: „Was tu' ich eigentlich hier?“ und realisierte: Die Erde ist ein Lebewesen, und ich bin ihr Sinnes- und Willensorgan, ausgesandt, die Meldung zurückzubringen, sie als solches endlich wahrzunehmen. Nur mit den, mit Honecker zu sprechen, „expansionistischen Bestrebungen des Imperialismus“ lassen sich weder Columbus noch Columbia erklären. Und daß das ehemalige „Volk ohne Raum“ nun schon wieder unbedingt in den Kosmos expandieren muß und der dicke Kanzler mit unserm Ulf und unserm Klaus-Dieter, vor gehißtem Deutschland-Wimpel, stolz telefoniert — geschenkt. Das Aufregende an der Weltraumperspektive ist ja gerade, daß sie Patriotismus, Nationalismus, Rassismus letztlich in Folklore verwandelt — die Astronauten starten als dumpfe Arier und kehren als bewußte Planetarier zurück. Es geht nicht um die Erforschung des Alls, sondern um die Entdeckung der ganzen Erde. Und um etwas zu erkennen, auf dem wir sitzen, müssen wir schon aufstehen und einen Schritt zurücktreten.

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