Ich bin eine Schiefsingerin

■ Schön, aber hoffnungslos falsch: Wie bekennende „Brummer“ in einer Betroffenengruppe lernen, ohne Streß zu singen

Zu acht liegen wir im Kreis auf dem Boden, die Becken heben sich, die Arme werden schwer, grenzenlose Seufzer steigen zur Zimmerdecke. Dann ein Summen, Singen, Tönen, ein sich beulender, hebender Klangteppich. Unsere Stimmen vereinen sich zu einem sphärischen Sound, der Engeln das Wasser in die Augen triebe. Ein Glöckchen beendet das Konzert.

Wir, das sind sieben bekennende SchiefsingerInnen und ein Journalist. Bedingung für meine Reportage war Teilnahme. Denn Schiefsingers Problem fängt hier an: Was Menschen mit mangelnder Ton-Treffsicherheit gar nicht brauchen können, ist Streß. Allwöchentlich trifft sich die Gruppe bei der Bremer Jazzsängerin und Gesangslehrerin Sabine Mariß, um...ja was? Singen zu lernen? Wer Ohren hat zu hören, merkt schnell, daß hier an sich schöne Stimmen versammelt sind.

Im kommunikativen Miteinander entstehen (singend) wunderbare Harmonien. Nur: Singen ist mehr. Es ist eben nicht selbstverständlich, daß der Ton raus

Sabine Mariß hört sich alles an und schlägt das GlöckchenFoto: privat

kommt, den man singen will. Auch sind keineswegs alle fähig, den gesungenen mit einem gehörten Ton zu vergleichen. Selbst mit der Frage, ob eine Tonfolge hoch oder runter geht, ist der Schiefsinger oft überfordert.

Schweigen. Entspannung. Das Glöckchen wird angeschlagen.

hierhin bitte die

lachende Frau mit dem

dunklen langen Haar

Ein kleiner, aber ungemein reiner und suggestiver Ton. Er erfüllt den Raum zwischen meinen Ohren, schaukelt hin und her, scheint im Kopf zu entstehen. „Konzentriert euch ganz auf die eustachischen Röhren!“ sagt Sabine Mariß. Für sie ist klar, daß das zentrale Problem eine Ver spannung ist. Ein psychosomatisches Phänomen, etwa so: Der Vater hat dem Kind zu viel in den Ohren gelegen. Auch das Gehör habe, wie andere Organe, eine Art Not- Verschlußsystem gegen „schädliche“ Frequenzen. Unter bestimmten Streß-Umständen könne die Fähigkeit, das Ohr zuzumachen, „zur zweiten Natur werden“.

Was beim Schiefsinger falsch läuft, weiß er oft selbst nicht. Christine (Lehrerin, singt gerne) gerät immer irgendwann „ins Stocken“, weil irgendwas nicht stimmt. Armin, Pädagoge, hat die Kommentare beim Apres-Ski satt, wenn Sangeslust die Kehlen kitzelt. Er kann immer nur vermuten, „vielleicht bin ich falsch“. Robert (bildet Bürokaufleute aus), weiß nicht: „Bin ich zu hoch oder zu tief?“ Daher kommt die fatale Fixierung auf das vermutete Urteil der „Richtigsinger“ inkl. entsprechendem Streß. Sabine Mariß setzt „Eigenkontrolle schulen!“ dagegen.

Sieht es im ersten Teil des Abends noch so aus, als ginge es

Man nennt sie „Brummer“, weil sie sich, obwohl sie keinen Ton treffen, in Chören oft mit leisem Brummen durchschwindeln. Heimliche Schiefsinger sind für Chöre, sagt Sabine Mariß, „oft ein ungeheures Problem“

im Grunde nur um Freude, unterscheidet der zweite Teil deutlich zwischen Richtig und Falsch. Zum Klang der Shruti-Box, einem indischen Instrument, das ununterbrochen reine Quinten von sich geben kann, müssen einzeln kleine Melodien nachgesungen werden.

Hier gibt es Teilnehmer, die keinen einzigen Ton treffen, und andere, die allerliebste Melodeien nachsingen, aber plötzlich, unter Druck, sich verhaspeln und gar nix mehr können.

„Brummer“ werden die Schiefsinger auch genannt. Weil sie leise „brummend“ in Chören „mitgeschleppt“ werden. Solche „Brummer“ brachten Sabine Mariß vor einem Jahr auf den Gedanken, eine Schiefsingergruppe anzubieten. Die Modern-Jazz-Interpretin (Mariß-Hammerschmidt-Duo) gibt seit 1986 Gesangsunterricht in Gruppen. „In normalen Gruppen sind die Schiefsinger ein furchtbares Problem.“ Die Erleichterung, in einem streßfreien Raum („Ich bin eine Schiefsingerin“), wieder einen Weg zu seiner Stimme zu finden, ist atmosphärisch immer noch spürbar: Es geht heiter zu.

Elegante Figuren nachsingen im Intervall einer Quinte: die Nagelprobe. Ich falle infolge Fehlerlosigkeit aus dem Rahmen. „Leider gehörst du nicht hierher“, lautet das Urteil. In meine Erleichterung mischt sich Enttäuschung: man schließt mich aus einer Gruppe aus, die unterwegs ist. Burkhard Straßmann

Kontakt: Tel. 70 38 69