: Bildung statt Strafe
■ Der Verein »Kunst & Knast« e.V. präsentiert die Kabarettisten »Konejung und Schroth« im Jugendgefängnis Plötzensee
Ein schmaler Schlitz klafft zwischen meterhoher Betonmauer und einer Schiebetür aus Stahl, die Stammheim alle Ehre gemacht hätte. Der Zwergenhaftigkeit meiner Physignomie beim Eintritt in diesen Supertresor schmerzlich bewußt, reihe ich mich in die Schlange vor dem Pförtnerhaus im Schleusenraum, überantworte dem distinguiert lächelnden Beamten in Grau vertrauensvoll meine Papiere und erhalte eine Nummer im Klarsichtetui. Von Betonwänden umzingelt stehe ich etwas ratlos im Innenhof der Jugendstrafanstalt Plötzensee.
Ich, die Nummer 47, habe meine Identität als Bürgerin dieses Staates an knasterprobte Pförtnerhände übergeben und werde nun von einem weiteren höflichen Herrn in Grau durch ein weiteres riesiges Stahltor geschleust. Das nenne ich Eintauchen in die Materie, mit dem Strafgefangenen auf du und du — ich fühle mich fast schon selbst wie einer. Der kleine Versammlungsraum hingegen verströmt dann eher den Charme eines christlichen Gemeindehauses: Cola und Kaffee zum Klubpreis, Schulaulastühle und auf den VIP- Tischchen karierte Decken und Primeltöpfe. Brav wirft das wohlmeinende Fachpublikum seinen Spendengroschen in den dargebotenen Plastikeimer — man ist unter sich: Jugendgerichtshelfer, Rechtsanwälte, Psychologen, und selbst die Frau Senatorin Jutta Limbach ist mit von der Partie. Schließlich kommen sie herein, diese Wesen, deretwegen wir hier alle unser Wohltätergesicht aufgelegt haben — ein kleines Häufchen von kaum vierzig Mann verdrückt sich unauffällig auf die einfachen Plätze. Die vom Leben und die vom Fach in Sachen Justitia Betroffenen sitzen sittsam getrennt und pflegen zoologisch aufgeschlossenen Blickkontakt mit der anderen Art. »Schnittstelle drinnen und draußen« nennt sich das in der Fachterminologie.
Die Ankündigung durch die Initiatoren — als da wären die Herren Marius Fiedler, seines Zeichens Leiter dieser Anstalt, und Bernd Sprenger, Mitbegründer des Vereins Kunst und Knast e.V. — ist kurz; man will nicht mit Behördengequatsche nerven. Recht so! Die Bretter, die hier die Welt hinter Gittern bedeuten, werden den Akteuren übergeben. Konejung und Schroth, Kölner Frohnaturen und Träger des Kleinkunstpreises 91, steigen sogleich mit viel Gespür für das Milieu — und übrigens unbezahlt — in ihr rasantes Nummernprogramm: Ausgerechnet von der Sicherungswut westdeutschen Eigentums gegenüber umherschweifenden und stetig wachsenden Räuberscharen mittels »infrarotsensorgestützten Gartenzwergen« handelt ihre erste Nummer. Als vom Vereinigungstaumel unbeleckte Rheinländer singen sie dann ihr Hohelied der Westkultur. Präsentieren ihrem nicht alltäglichen Publikum Weiberhelden, potentielle Amokläufer — »das zuckt immer so beim Brotschneiden« —, Bazillenphobiker, die sich vor den Menschenschlangen im Supermarkt ekeln, und einen philosophierenden Rheinländer, der beim Gassigehen über die Ausländerfeindlichkeit der Sachsen sinniert — »da gab's ja nie Negerküsse oder den Sarottimohr«.
Fast vergißt man, wo man hier ist, In- und Externe klopfen sich gleichermaßen die Schenkel. Den Jugendlichen, die bei einem Durchschnittsalter von 22 Jahren doch schon eher Erwachsene sind, gefällt das Programm. »Willkommene Abwechslung« und »Die Jungs sind gut« ist der übereinstimmende Tenor. Grund für ihr spärliches Erscheinen — von dreihundertdreißig Insassen haben nur vierzig den Weg in den Veranstaltungsraum gefunden — sind zum Teil mangelnde Deutschkenntnisse, weit über fünfzig Prozent sind Ausländer, vielleicht aber auch eine Überversorgung an wohlmeinenden integrationsfördernden Maßnahmen seitens der Anstaltsleitung. Die Jugendstrafanstalt in Berlin-Plötzensee überragt mit einer engagierten Konzeption das Niveau vergleichbarer Einrichtungen. Das antiquierte Modell vom Knacki, der für Pfennigbeträge Tüten zusammenklebt, hat hier bereits den ihm angemessenen Platz in der Mottenkiste gefunden. Unter Federführung von Marius Fiedler wird der hoffnungmachende Versuch unternommen, den Teufelskreis von Arbeitslosigkeit — bedingt durch schlechte Ausbildung — und Straffälligkeit zu durchbrechen: die Gefangenen erhalten ausschließlich ausbildungsorientierte Arbeitsangebote. Die Haftzeit also einmal nicht als moralische Geißel der Gesellschaft für ihre fehlgetretenen Sprößlinge. Die Chance für einen besseren Neuanfang ist hier das anstaltsverordnete Handlungsmotiv
Der gemeinnützige Verein Kunst und Knast e.V., will das kulturelle Vakuum innnerhalb der Gefängnismauern mit künstlerischen Aktivitäten füllen. Von Spendenmitteln und Fördermitgliedsbeiträgen mehr schlecht als recht finanziert, ist ihm das Zustandekommen des Kabarettnachmittags zu verdanken.
Qualität ist das Hauptkriterium, nach dem die Kultur für den Knast ausgewählt wird: Den Gefangenen soll hier keine zweite Wahl geboten werden. Der Kulturgenuß vermittelt die Realitätsnähe, die im Knastalltag allzu leicht auf der Strecke bleibt. Frei von moralisch emporgereckten Zeigefingern und anderen pädagogischen Hintergedanken soll das Programm vor allen Dingen Spaß machen.
Daß trotz der weitgehenden Zurückhaltung seitens der Gefangenen mit ungebrochenem Elan an einem humanerem Strafvollzug gearbeitet wird — mit Kursangebot von Musiktherapie über Sport zu Anti-Aggressionstraining —, ist lobenswert. Gerade weil sich bei der Nr. 47 dann doch der leise Verdacht meldet, hier solle mit wohlmeinender Naivität in eine Gesellschaft integriert werden, die die Bruchlandung der knastinternen Hauptschulabsolventen schon vorprogrammiert hat: sind im harten Kampf um die Mangelware Arbeitsplatz die Vorbestraften nicht doch wieder die ersten, die durchs Netz fallen? Antje Braunschweig
Spendenkonto für KuK e.V.: Bank für Sozialwirtschaft, BLZ 10020500, Kto.-Nr. 3061300
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen