„Das ist kein Therapiescheiß“

■ Die Rollstuhl-Basketballer vom BSG Duisburg haben mitleidige Blicke endgültig satt und kämpfen um die Anerkennung ihres Sports/ Rolli-Basketball-Liga für Nichtbehinderte in Kanada

Duisburg (taz) — „Dammed, Shit“, tönt es laut durch die Halle, die soeben noch vom zwanzigfachen Rollstuhlradgequietsche erfüllt war. Ed Owen, amerikanischer Rollstuhlbasketballer und lebende Legende im Dress der Behinderten-Sport-Gemeinschaft (BSG) Duisburg, machte seinem Ärger über eine vermeintliche Schiedsrichter-Fehlentscheidung Luft. Angeblich soll er sich beim Wurf zu weit aus seinem Rollstuhl vorgebeugt haben. Augenblicke später rollte er wieder flink und wendig in die eigene Deckung zurück, um die kompakte Abwehrreihe seiner Mannschaft zu komplettieren. „Das ist beim Rollstuhlbasketball sehr wichtig, denn“, so sagt Mannschaftskapitän und Nationalspieler Jürgen Julius, „wo ein Rollstuhl steht, kann kein zweiter mehr hin, und der Weg zum Korb ist versperrt.“

Am vorletzten Wochenende nahmen die Duisburger als amtierender Deutsche Meister an der Vorrunde im Europapokal der Landesmeister im französischen Berck (bei Calais) teil und qualifizierten sich mit einem 49:39-Sieg über den belgischen Klub Doska Brüssel für die Finalrunde, die Anfang Mai in Manchester stattfindet. Zwar setzte es für die niederländischen „Antilopen“ aus Leersum und den Gastgeber Berck zwei Niederlagen, doch reichte am Ende der zweite Platz und das bessere Korbverhältnis für die Qualifikation.

Noch schöner war eigentlich nur die einzigartige Atmosphäre in Berck. Über 400 ZuschauerInnen brachten die Stimmung zum Brodeln, verdoppelten die stuhlantreibenden Menschenstärken [sehr doppeldeutig, d. s-in] und ließen Julius an ein Turnier in Auxerre erinnern, als die Halle schon zwei Stunden vor Beginn rammelvoll war. „In Schweden wurden wir sogar mal von der Silvia begrüßt“, schwelgt BSG-Vorsitzender Rolf Gerhartz in königlichen Euphorien.

Von solchen Verhältnissen können die Akteure in Deutschland nur träumen. Gerade mal 25 ZuschauerInnen sind dabei, wenn der Deutsche Meister und momentane Spitzenreiter gegen den Tabellendritten USC Münster spielt. Den Rollstuhl- Basketballern geht es neben dem sportlichen Erfolg um die Anerkennung ihres Spieles. „Was wir hier betreiben, ist Hochleistungssport“, sagt Vereinsmanager Heinz-Peter Grot. „Und vor allen Dingen“, setzt Julius hinzu, „ist das Spiel kein Therapie-Scheiß für Behinderte.“ Mitleidige Blicke können die Akteure, für die der Rollstuhl ein Gerät wie der Schlittschuh beim Eishockeyspieler ist, nicht ausstehen. „Wir spielen, weil wir sportlich etwas erreichen wollen und nicht als Rehabilitationsmaßnahme“, wird der Kapitän angesichts der vielfach ignoranten gesellschaftlichen Meinung über seine Sportart ungehalten. „Jeden Samstag wird uns in einer bekannten Fernsehsendung aufdiktiert, ,Dankeschön‘ zu sagen zu jedem Kegelklub, der etwas spendet. Die sportliche Anerkennung ist uns wichtiger“, spricht Jürgen Julius mit Leib und Seele für sein Team.

In Kanada wird es ab Sommer eine Rollstuhlbasketball-Liga für Nicht- Behinderte geben. Eine Errungenschaft, über die sich Ed Owen besonders freut. Immerhin ist er der einzige Rollstuhlbasketballer, der in der legendären amerikanischen „Hall of Fame“ verewigt ist. Seit dem Auftreten seiner Kinderlähmung kämpft er für eine Emanzipation des Basketball auf Rädern. Auf dem Spielfeld wird sich schließlich nichts geschenkt.

In ihren extra leichten Titanrollis pesen die Akteure daher mit ungeheurem Tempo. Über zehn bar Reifendruck (normal sind es etwa vier bis fünf bar) tragen dazu bei, den Lauf auf Luft zu beschleunigen. „Die Regeln sind denen der Fußgänger angeglichen“, so Julius, „mit Ausnahme der Schritte-Regelung“ natürlich. Statt dessen müssen die Spieler nach jedem zweiten Anschieben den Ball einmal dribbeln oder abgeben. Besonders mathematisches Talent wird vom Trainer erwartet, schließlich haben die Akteure je nach Behinderung bis zu vier Schadenspunkte in ihrem Spielerpaß stehen. Je höher die Behinderung, desto kleiner die Punktzahl. Um eine Teamgleichheit zu gewährleisten, darf die Summe der Schadenspunkte einer Mannschaft (je fünf) nicht mehr als 13,5 übersteigen, ansonsten wird der Coach verwarnt und muß noch einmal das kleine Einmaleins lernen.

Jeder Ball ist hart umkämpft, und bei besonders rabiaten Attacken fällt dann und wann auch schon mal ein Spieler aus dem Stuhl. Die Akteure nehmen's locker: „So wie jeder Fußgänger mal stolpert, kippen wir auch schon mal aus der Kanne. Das ist ganz normal. Schwerwiegende Verletzungen hat es noch nicht gegeben, und ein Meniskusriß macht uns eh nichts mehr aus.“ Vielmehr befürchten die wilden Raser Defekte an ihrem Rolli, der mit knapp 4.000Mark wohl zu den teuersten Sportgeräten gehört. „Das grenzt schon an Raubbau, der in keinem Preis-Leistungs- Verhältnis steht“, so ein Zuschauer, der im Rollstuhlbau tätig ist.

Ein Faktum, an dem besonders die Aktiven aus der Ex-DDR zu knacken haben. „Um Material und Technik unserem Niveau anzugleichen, wird es wohl noch einige Jahre dauern“, ist sich Jürgen Julius sicher, „schließlich wurde dort immer nur der gesunde Sport besonders gefördert.“ Im Sommer bei den Paralympics in Barcelona, die unmittelbar nach den Olympischen Spiele beginnen, wird es ein gesamtdeutsches Nationalteam geben. Eine neue Chance für die Sportler, Berührungsängste abbauen zu können. Roland Leroi